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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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sprechen, so war es nicht nur, sie seiner Liebe zu versichern, sondern sich auch über seine Gattin, über den Hauptmann zu beschweren.
    Er fühlte nicht, daß er selbst durch sein heftiges Treiben die Kasse zu erschöpfen auf dem Wege war; er tadelte bitter Charlotten und den Hauptmann, daß sie bei dem Geschäft gegen die erste Abrede handelten, und doch hatte er in die zweite Abrede gewilligt, ja er hatte sie selbst veranlaßt und notwendig gemacht.
    Der Haß ist parteiisch, aber die Liebe ist es noch mehr.
    Auch Ottilie entfremdete sich einigermaßen von Charlotten und dem Hauptmann.
    Als Eduard sich einst gegen Ottilien über den letztern beklagte, daß er als Freund und in einem solchen Verhältnisse nicht ganz aufrichtig handle, versetzte Ottilie unbedachtsam: »es hat mir schon früher mißfallen, daß er nicht ganz redlich gegen Sie ist.
    Ich hörte ihn einmal zu Charlotten sagen: wenn uns nur Eduard mit seiner Flötendudelei verschonte!
    Es kann daraus nichts werden und ist für die Zuhörer so lästig.
    Sie können denken, wie mich das geschmerzt hat, da ich Sie so gern akkompagniere«.
    Kaum hatte sie es gesagt, als ihr schon der Geist zuflüsterte, daß sie hätte schweigen sollen; aber es war heraus.
    Eduards Gesichtszüge verwandelten sich.
    Nie hatte ihn etwas mehr verdrossen; er war in seinen liebsten Forderungen angegriffen, er war sich eines kindlichen Strebens ohne die mindeste Anmaßung bewußt.
    Was ihn unterhielt, was ihn erfreute, sollte doch mit Schonung von Freuden behandelt werden.
    Er dachte nicht, wie schrecklich es für einen Dritten sei, sich die Ohren durch ein unzulängliches Talent verletzen zu lassen.
    Er war beleidigt, wütend, um nicht wieder zu vergeben.
    Er fühlte sich von allen Pflichten losgesprochen.
    Die Notwendigkeit, mit Ottilien zu sein, sie zu sehen, ihr etwas zuzuflüstern, ihr zu vertrauen, wuchs mit jedem Tage.
    Er entschloß sich, ihr zu schreiben, sie um einen geheimen Briefwechsel zu bitten.
    Das Streifchen Papier, worauf er dies lakonisch genug getan hatte, lag auf dem Schreibtisch und ward vom Zugwind heruntergeführt, als der Kammerdiener hereintrat, ihm die Haare zu kräuseln.
    Gewöhnlich, um die Hitze des Eisens zu versuchen, bückte sich dieser nach Papierschnitzeln auf der Erde; diesmal ergriff er das Billet, zwickte es eilig, und es war versengt.
    Eduard, den Mißgriff bemerkend, riß es ihm aus der Hand.
    Bald darauf setzte er sich hin, es noch einmal zu schreiben; es wollte nicht ganz so zum zweitenmal aus der Feder.
    Er fühlte einiges Bedenken, einige Besorgnis, die er jedoch überwand.
    Ottilien wurde das Blättchen in die Hand gedrückt, den ersten Augenblick, wo er sich ihr nähern konnte.
    Ottilie versäumte nicht, ihm zu antworten.
    Ungelesen steckte er das Zettelchen in die Weste, die, modisch kurz, es nicht gut verwahrte.
    Es schob sich heraus und fiel, ohne von ihm bemerkt zu werden, auf den Boden.
    Charlotte sah es und hob es auf und reichte es ihm mit einem flüchtigen Überblick.
    »Hier ist etwas von deiner Hand«, sagte sie, »das du vielleicht ungern verlörest«.
    Er war betroffen.
    ›Verstellt sie sich?‹ dachte er.
    ›Ist sie den Inhalt des Blättchens gewahr worden, oder irrt sie sich an der Ähnlichkeit der Hände? Er hoffte, er dachte das letztre.
    Er war gewarnt, doppelt gewarnt; aber diese sonderbaren, zufälligen Zeichen, durch die ein höheres Wesen mit uns zu sprechen scheint, waren seiner Leidenschaft unverständlich; vielmehr, indem sie ihn immer weiter führte, empfand er die Beschränkung, in der man ihn zu halten schien, immer unangenehmer.
    Die freundliche Geselligkeit verlor sich.
    Sein Herz war verschlossen, und wenn er mit Eduard und Frau zusammenzusein genötigt war, so gelang es ihm nicht, seine frühere Neigung zu ihnen in seinem Busen wieder aufzufinden, zu beleben.
    Der stille Vorwurf, den er sich selbst hierüber machen mußte, war ihm unbequem, und er suchte sich durch eine Art von Humor zu helfen, der aber, weil er ohne Liebe war, auch der gewohnten Anmut ermangelte. Über alle diese Prüfungen half Charlotten ihr inneres Gefühl hinweg.
    Sie war sich ihres ernsten Vorsatzes bewußt, auf eine so schöne, edle Neigung Verzicht zu tun.
    Wie sehr wünschte sie, jenen beiden auch zu Hülfe zu kommen!
    Entfernung, fühlte sie wohl, wird nicht allein hinreichend sein, ein solches Übel zu heilen.
    Sie nimmt sich vor, die Sache gegen das gute Kind zur Sprache zu bringen; aber sie vermag es nicht; die Erinnerung

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