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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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erwidern vermochte, »kannst du mich schelten, wenn mir Ottiliens Glück am Herzen liegt?
    Und nicht etwa ein künftiges, das immer nicht zu berechnen ist, sondern ein gegenwärtiges?
    Denke dir aufrichtig und ohne Selbstbetrug Ottilien aus unserer Gesellschaft gerissen und fremden Menschen untergeben – ich wenigstens fühle mich nicht grausam genug, ihr eine solche Veränderung zuzumuten«.
    Charlotte ward gar wohl die Entschlossenheit ihres Gemahls hinter seiner Verstellung gewahr.
    Erst jetzt fühlte sie, wie weit er sich von ihr entfernt hatte.
    Mit einiger Bewegung rief sie aus: »kann Ottilie glücklich sein, wenn sie uns entzweit, wenn sie mir einen Gatten, seinen Kindern einen Vater entreißt?« »Für unsere Kinder, dächte ich, wäre gesorgt«, sagte Eduard lächelnd und kalt; etwas freundlicher aber fügte er hinzu: »wer wird auch gleich das Äußerste denken!« »das Äußerste liegt der Leidenschaft zu allernächst«, bemerkte Charlotte.
    »Lehne, solange es noch Zeit ist, den guten Rat nicht ab, nicht die Hülfe, die ich uns biete.
    In trüben Fällen muß derjenige wirken und helfen, der am klarsten sieht.
    Diesmal bin ichs.
    Lieber, liebster Eduard, laß mich gewähren!
    Kannst du mir zumuten, daß ich auf mein wohlerworbenes Glück, auf die schönsten Rechte, auf dich so geradehin Verzicht leisten soll?« »Wer sagt das?« versetzte Eduard mit einiger Verlegenheit.
    »Du selbst«, versetzte Charlotte; »indem du Ottilien in der Nähe behalten willst, gestehst du nicht alles zu, was daraus entspringen muß?
    Ich will nicht in dich dringen; aber wenn du dich nicht überwinden kannst, so wirst du wenigstens dich nicht lange mehr betriegen können«.
    Eduard fühlte, wie recht sie hatte.
    Ein ausgesprochenes Wort ist fürchterlich, wenn es das auf einmal ausspricht, was das Herz lange sich erlaubt hat; und um nur für den Augenblick auszuweichen, erwiderte Eduard: »es ist mir ja noch nicht einmal klar, was du vorhast«.
    »Meine Absicht war«, versetzte Charlotte, »mit dir die beiden Vorschläge zu überlegen.
    Beide haben viel Gutes.
    Die Pension würde Ottilien am gemäßesten sein, wenn ich betrachte, wie das Kind jetzt ist.
    Jene größere und weitere Lage verspricht aber mehr, wenn ich bedenke, was sie werden soll«.
    Sie legte darauf umständlich ihrem Gemahl die beiden Verhältnisse dar und schloß mit den Worten: »was meine Meinung betrifft, so würde ich das Haus jener Dame der Pension vorziehen aus mehreren Ursachen, besonders aber auch, weil ich die Neigung, ja die Leidenschaft des jungen Mannes, den Ottilie dort für sich gewonnen, nicht vermehren will«.
    Eduard schien ihr Beifall zu geben, nur aber, um einigen Aufschub zu suchen.
    Charlotte, die darauf ausging, etwas Entscheidendes zu tun, ergriff sogleich die Gelegenheit, als Eduard nicht unmittelbar widersprach, die Abreise Ottiliens, zu der sie schon alles im stillen vorbereitet hatte, auf die nächsten Tage festzusetzen.
    Eduard schauderte, er hielt sich für verraten und die liebevolle Sprache seiner Frau für ausgedacht, künstlich und planmäßig, um ihn auf ewig von seinem Glücke zu trennen.
    Er schien ihr die Sache ganz zu überlassen; allein schon war innerlich sein Entschluß gefaßt.
    Um nur zu Atem zu kommen, um das bevorstehende unabsehliche Unheil der Entfernung Ottiliens abzuwenden, entschied er sich, sein Haus zu verlassen, und zwar nicht ganz ohne Vorbewußt Charlottens, die er jedoch durch die Einleitung zu täuschen verstand, daß er bei Ottiliens Abreise nicht gegenwärtig sein, ja sie von diesem Augenblick an nicht mehr sehen wolle.
    Charlotte, die gewonnen zu haben glaubte, tat ihm allen Vorschub.
    Er befahl seine Pferde, gab dem Kammerdiener die nötige Anweisung, was er einpacken und wie er ihm folgen solle, und so, wie schon im Stegreife, setzte er sich hin und schrieb.
    »Das Übel, meine Liebe, das uns befallen hat, mag heilbar sein oder nicht, dies nur fühle ich: wenn ich im Augenblicke nicht verzweifeln soll, so muß ich Aufschub finden für mich, für uns alle.
    Indem ich mich aufopfre, kann ich fordern.
    Ich verlasse mein Haus und kehre nur unter günstigern, ruhigern Aussichten zurück.
    Du sollst es indessen besitzen, aber mit Ottilien.
    Bei dir will ich sie wissen, nicht unter fremden Menschen.
    Sorge für sie, behandle sie wie sonst, wie bisher, ja nur immer liebevoller, freundlicher und zarter.
    Ich verspreche, kein heimliches Verhältnis zu Ottilien zu suchen.
    Laßt mich lieber eine Zeitlang

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