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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Öl vor, damit wir es auf die Feinde hinuntergießen konnten.
    Zuerst frohlockten die Boten: Mera warf die Nupaskans zurück. Dann, am zweiten Tag, kam ein atemloser, blutender Bote. Es hatte einen Rückschlag gegeben. Ich saß in dieser Nacht auf dem Wall und blickte nach Südosten, wo der aufgehende Mond tiefrot im Himmel hing und die Fackeln der Armeen flackerten. Und ich dachte an meine Schwestern und wünschte, ich wäre nicht einer von denen, die zurückgelassen wurden, um die Stadt zu beschützen.
    Am dritten Tag kam ein Bote mit angstgeweiteten Augen. »Die Nupaskans sind im Tempel!« rief er. Dann machte mein Herz einen Satz wie ein Hirsch, der um sein Leben springt, und ich rannte auf den Wall und erwartete, den rollenden Staub der anrückenden Nupask-Armee auf der Straße zu sehen. Statt dessen sah ich, daß sich der Staub nach der Schlacht schon wieder legte. Die Stille des Untergangs senkte sich über das Land.
    Eine Stunde später wurden die Tore geöffnet, und der Reiter kam in die Stadt.
    Sein Pferd war halb von Sinnen, vor seinem Maul stand blutiger Schaum. Obwohl der Reiter keine Wunden hatte, war er fast tot. Er war mit einem Seil an sein Roß gebunden. Auf dem Hals des Pferdes klebte das blutige Erbrochene des Mannes. Er wand sich und rülpste, als wir ihn aus dem Sattel hoben. An seiner Brust hing ein Bündel, auf dem mein Name stand.
    Es war das Buch. Auf ein Stück blutverschmiertes Tuch hatte Mera eine Botschaft geschrieben.
    »Unser Bruder, ein Freund schreibt dies. Arain ist tot. Ich werde bald bei ihr sein. Die Erde hat sich geöffnet. Im Namen von Feder, bring das Buch nach Paradox. Warne sie vor Radna. Willst du es mir jetzt versprechen?«
    Wie bedauerte ich, daß ich Mera mein Versprechen nicht früher gegeben hatte. Welcher Trost wäre es ihr in ihren letzten Stunden gewesen. Aber das sind jetzt leere Worte. Einen solchen Fehler kann man nicht ungeschehen machen, aber ich tat, was sie verlangte. Ich rannte fort und überließ meine Schwestern und das Land, in dem ich geboren wurde, dem Totengräber. Es nützte nichts, denn nun werde ich mich zu ihnen gesellen. Ich bin nicht schnell genug gerannt.
    Mit der Botschaft eingerollt waren zwei Locken von strahlend weißem Haar, ganz ähnlich wie Sonnenstrahlen. Ich weinte. So verbittert war ich, daß ich Feder verfluchte. Ich opferte das Haar meiner Schwestern nicht, denn es würde keine Kinder mehr in Handred geben.
     
    Ich will dir den Tag des Untergangs beschreiben, mein Freund. Ich sehe es jetzt vor meinem inneren Auge, als stünde ich wieder am Ufer des Umbya. Keine Vögel fliegen dort, nicht einmal Geier. Nur der Geruch des Todes ist allgegenwärtig. Die Tiere, die im Gras lebten, regen sich nicht mehr. Bäume stehen am Fluß, an den Straßen, in den Höfen, wo wir zur Musik der Fontänen lachten. Aber alle Blätter sind stumpf und am Ast vertrocknet. Sie rascheln im Wind. In meiner Werkstatt stehen Schalen, die nie in den Brennofen kommen werden; der Lehm in den Vorratstöpfen ist vertrocknet. Männer liegen tot neben ihren Pflügen, Frauen neben ihren Kindern. Meine Schwestern liegen unbestattet in der Sonne. Nie wieder werden wir zufrieden am Feuer sitzen. In einem großen Umkreis, eine Monatsreise von einer Seite zur anderen, ist nichts mehr am Leben. Das Leben wurde von Radna verschlungen, dem dunklen Wesen, dem Gift der Götter, der Plage der Alten. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig.
    Ich habe dein Land gesehen, mein Freund. Dein Volk ist stark und aufrecht. Vor allen Türen spielen Kinder, und alte Männer sitzen in der Sonne. Aber ich sage dir, sieh mich an und siehe, was du werden kannst. Siehe ein geschrumpftes Wesen, bleich und hinfällig, mit stinkenden Schwären, geschwächt und fast zu ängstlich, um vor die Götter zu treten. Und dann denke an den Tempel von Paradox.
    Nimm das Buch, Freund. Ich weiß keinen besseren Weg, dir deine Freundlichkeit zu vergelten. Behalte es. Bringe es nicht durcheinander. Und erinnere dich an meine Geschichte. Vielleicht wirst du eines Morgens nach der Straße nach Paradox fragen.
    Es ist so kalt heute.
     
    Originaltitel: ›The River Temple‹
    Copyright © 1986 by Mercury Press, Inc.
    (erstmals erschienen in ›The Magazine of Fantasy & Science Fiction‹, Juli 1986)
    mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Agentur Luserke, Friolzheim
    Copyright © 1991 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München
    Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen

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