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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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nächsten Jahr vor den Büschen zurückweichen würde, wenn sie dann immer noch lebten. Sie waren wichtig. Sie verschafften ihm eine Pause, und der Gedanke, nach so langer Zeit etwas zu verändern, beschämte ihn. Seine Hände zitterten, als er den letzten Busch von der Straße zerrte.
    Als er das Unkraut beseitigt hatte, ging er die Seitenstraße hinauf; unterwegs klaubte er umsichtig kleine Steine vom rissigen Weg und warf sie zwischen die Bäume, die neben ihm den Hügel hinaufmarschierten. Es war anstrengend, die vielen Steine wegzuwerfen, und es kostete ihn wertvolle Zeit, doch er ging seiner Aufgabe abwesend nach, ohne die Steine wirklich zu sehen. Als er endlich die Hügelkuppe erreichte, keuchte er. Er starrte zur Lichtung hinunter und konnte sich nicht erinnern, ob er im letzten Jahr genauso erschöpft gewesen war, und das machte ihm Sorgen. Was, wenn er nicht mehr genug Kraft dazu hatte? Der Gedanke verließ sein Bewußtsein wie ein flatternder Schmetterling, als er die Lichtung betrachtete.
    Das Haupthaus war fast verschwunden, es war von der zerstörten Veranda bis zum fehlenden Dach von Moos und Gräsern bedeckt. Es war kaum mehr als ein Schatten im Unterholz, und wenn er nicht so lange darin gewohnt hätte, dann hätte er es nicht mehr als Haus erkannt. Er ließ die Schultern sinken und starrte die Ruine lange an. Die Erinnerung schmerzte ihn, doch der Schmerz war ihm nicht neu, und er sah keinen Grund, warum es dieses Jahr hätte anders sein sollen.
    Die Erinnerungen waren verschwommen und stumpf, doch er wußte noch, wie er vor genau zwanzig Jahren an dieser Stelle gestanden und zugesehen hatte, wie das Haus niederbrannte. Es waren Menschen im Haus gewesen, und der alte Mann konnte noch ihre leisen Schreie über dem Tosen der Flammen hören und die leichte Brise, die in den Wipfeln der hohen Bäume rauschte. Er müßte sich an ihre Namen erinnern. Doch diese Menschen, seine Familie, waren unter alten, verdrängten Erinnerungen begraben, und er machte sich nicht die Mühe, sie aus den Tiefen seines Bewußtseins heraufzubeschwören.
    Die Scheune sah nicht viel besser aus als das Haus, und er beachtete sie kaum, als sein Blick zu dem Tor weiterwanderte, das in den Fels der Hügelflanke eingelassen war. Das Tor war schmutzig, die Farbe blätterte ab, und er ging hinüber und schlug hart mit der Handfläche dagegen. Staub wirbelte auf, der galvanisierte Stahl hallte unter dem Schlag. Er lächelte, es war eher ein Entspannen der schmalen Lippen als ein Grinsen, und griff nach der Silberkette, die er am Hals trug. An der Kette hingen zwei Schlüssel. Er schob den kleineren ins Schloß und zog. Das Tor hob sich mühelos bis zum Anschlag und rastete ein.
    Der alte Mann richtete sich ganz auf und holte tief Luft und schnaufte erleichtert, als er in die Garage blicken konnte. Der Zementboden war mit einer Jahresladung Staub bedeckt, doch trotz der Dunkelheit konnte er sehen, daß alles so war, wie er es verlassen hatte. Er ging zur Rückwand des stockfinsteren Raums, und er stolperte nicht und zauderte nicht, als er den dunklen Umriß in der Mitte der Garage umrundete. Trotz der langen Zeit wußte er noch, wo alles war, und er hätte die Bewegungen auch blind ausführen können.
    Er nahm einen roten Plastikkanister und hielt ihn unter den Auslaß des Achthundertlitertanks, der den größten Teil der hinteren Wand einnahm. Als der Kanister voll war, ging er zum Generator neben dem Tank und schüttete den Treibstoff hinein. Es wurde Zeit. Er legte die Schalter um und tastete nach dem Anlasserseil an der Seite des Generators. Er zog einmal, zweimal am Seil. Der Generator spuckte, und beim dritten Zug sprang er an, wie er es immer getan hatte. Die Garage erwachte unter dem Lärm des Generators zum Leben, als er den Choke zog. Die Leuchtstoffröhren an der Decke flackerten, dann verströmten sie blendend helles Licht.
    Der alte Mann blinzelte und rieb sich die Augen. Als sein Blick sich auf das grelle künstliche Licht eingestellt hatte, betrachtete er das Ding in der Mitte der Garage. Es war mit einer enganliegenden grünen Plane abgedeckt, doch der Umriß war ihm so vertraut wie die Linien seiner Hände.
    Er trat darauf zu und entfernte sanft, fast andächtig die Plane und faltete sie zu einem ordentlichen Quadrat zusammen, das er auf einem Regal ablegte. Sein Herz machte einen Sprung, als er sich wieder umdrehte und den Wagen betrachtete.
    Es war ein 1978er Datsun 280 Z Two Plus Two. Er war burgunderrot und hatte

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