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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Kreaturen und Invasionen aus dem All gingen ihm durch den Kopf.
    Hinter der Raumkapsel, am Ende der sanft abfallenden Felder, lag das Dorf Willy-in-the-Mud, das genau 69 Einwohner zählte. Einer von diesen 69 Dörflern war der Farmer Richard Knight, Eigentümer der Felder, die Willy-in-the-Mud von Leyworth trennten. Er war ständig auf der Hut vor unbefugten Eindringlingen: eine der Lieblingsfreizeitbeschäftigungen der Schüler von St. Nicholas, der nahegelegenen Public School, bestand nämlich darin, Farmer Knights friedlich grasendes Vieh zusammenzutreiben und es über die Wiesen zu scheuchen, in die Zäune, hinter anderen Jungen her, in den Teich oder sonstwo hin, wo Kühe normalerweise nicht hingehören. Bei solchen Anlässen pflegte Knight sich dann hinter das Steuer seines Landrovers zu klemmen und wie ein wildgewordener Ralleyfahrer über die Felder zu rasen, eine Hand am Steuer, mit der anderen seine Büchse in die Luft abfeuernd, was freilich seine Kühe mehr erschreckte als die Schüler.
    Farmer Knight hatte gerade auf seinem Balkon gesessen, als die Kapsel landete. Entsetzt war er sofort die Treppe hinuntergestürmt, hatte sich in seinen Wagen geschwungen und kam jetzt mit aufgeblendeten Scheinwerfern rasend vor Zorn die Felder heraufgebraust. Diesmal waren die Schüler zu weit gegangen! Das hatte nichts mehr mit einem Dummejungenstreich zu tun!
    Inzwischen näherte sich ein weiteres ahnungsloses Individuum dem Schauplatz des Geschehens. Durch eine Laune des Schicksals waren die Russen auf einem Stück Wiese heruntergekommen, das eine gewichtige Rolle im Leben vieler Leyworthianer spielte. Leyworth war in den über hundert Jahren seit seiner Gründung durch eine Gruppe exzentrischer Quäker-Idealisten, die den Genuß von Alkohol als sündig und moralisch verwerflich ansahen, stets eine ›trockene‹ Stadt geblieben. Diese etwas antiquierte Anschauung hatte sich, zumindest in den Köpfen der Stadtverantwortlichen, bis in die heutige Zeit hinübergerettet, mit dem Ergebnis, daß diejenigen Bürger, die der sündigen Verlockung des Trunkes nicht widerstehen konnten oder wollten, gezwungen waren, ihrem Laster außerhalb der Stadtgrenzen zu frönen. Viele von ihnen pflegten zu diesem Zweck einen ausgetretenen Pfad quer über die Felder nach Willy-in-the-Mud zu benutzen, wo drei ausgezeichnete Pubs beheimatet waren. An Sommerabenden nach der Sperrstunde konnte man manch einen Pensionisten im Zickzackkurs auf klapprigem Drahtesel mit unsicherem Tritt über den steinigen Pfad gen Leyworth strampeln sehen, eine Fahne aus Bier- und Zigarettendunst hinter sich her ziehend, akustisch untermalt von Schnaufen und gelegentlichem Rülpsen.
    Und so begab es sich denn, daß der nächste, der dem Schauplatz des Geschehens zustrebte, ein gewisser Harry Fielding war, ein zerlumpter Straßenfeger, der sich hart der Pensionsgrenze näherte. Diesen Harry Fielding erfüllte nur ein einziger Gedanke: Durst. Der Gedanke hatte jede Faser seines Seins durchdrungen, hatte vollkommen Besitz von ihm ergriffen, zusätzlich genährt und befeuert noch von dem Wissen, daß er die Öffnungszeit der Kneipen um geschlagen zwei Stunden verpaßt hatte, ein Zeitverlust, den er auch durch härtestes Schlucken kaum mehr würde wettmachen können. Sein Resthirn vermochte nicht mehr als einen Gedanken gleichzeitig zu beherbergen und zu verarbeiten, und an diesem (wie an fast jedem anderen) Abend war dieser Gedanke: Bier. Eine Pint schönes kühles Bier mit einer schönen Blume obendrauf, bitter in der Kehle und wohlig schwer im Magen.
    So intensiv, so plastisch und erregend schön war diese Vision, daß Fielding seufzend die Augen schloß und in andächtige Vorfreude versank. Und da er den Weg durch die Felder ohnehin im Schlaf kannte, machte er sich erst gar nicht mehr die Mühe, zu schauen, wo er hinfuhr. Er lief eh die meiste Zeit mit geschlossenen Augen herum, da er es viel zu anstrengend fand, sie ständig geöffnet zu halten.
    Aus diesem Grund sah er auch nicht den Landrover, der über die Felder genau in seine Richtung gerast kam, und da er taub war, hörte er auch das Motorengeräusch nicht.
    Die Pfade von Fieldings Fahrrad und Farmer Knights Landrover waren gleich krumm und windungsreich, aber auch gleich berechenbar. Sie schnitten sich. Knight sah den Straßenfeger zu spät im Lichtkegel seiner Scheinwerfer auftauchen und reagierte in blinder Panik. Er riß das Steuer herum. Der Landrover schlitterte breitseits auf das Fahrrad zu, erfaßte

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