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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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obere Ende der Leiter und sah den Deckel eines Einstiegs. Er trug in sauberen Schablonenbuchstaben die Aufschrift: Ausgang 37, Spukhaus.
    Nachdem er die eisernen Rungen sorgfältig geprüft hatte, schwang Sherlock Holmes sich die Leiter hinauf und stemmte sich gegen den Deckel über dem Einstieg. Er ließ sich leicht öffnen, allzu leicht, dachte er, als er hinauskletterte.
    Seine Augen benötigten einige Sekunden, um sich der Dunkelheit anzupassen, denn er wagte die Taschenlampe nicht zu gebrauchen. Allmählich begann er Umrisse zu erkennen und die Wände ringsum auszumachen. Er atmete gleichmäßig und tief, beruhigte den Pulsschlag, der zu rasen drohte. Der Ursprung der minimalen Helligkeit schien sich zur Rechten zu befinden, und aus dieser Richtung drang auch ein plötzlicher Ausbruch irren Gelächters an sein Ohr. Er beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen.
    Mit eingeübter Lautlosigkeit umging er alte Maschinerien und große Zahnräder und näherte sich der Lichtquelle. Es war eine Tür, die zu einem Viertel offenstand. Hinter ihr bewegte sich etwas.
    Er spähte durch die Öffnung. Es war ein Speisesaal. Kleine, gespenstische Erscheinungen mit gräßlich grinsenden Fratzen schwebten durch den Raum und warfen grüne und blaue Schatten. Grausige Gestalten saßen um den Tisch. Zur Linken stand ein Sarg, und als Sherlock Holmes hinsah, kratzte der Leichnam darin mit knochigen Fingern am Deckel und drückte ihn auf. Riesige Kröten hüpften umher, und ein Totenschädel lachte hohl.
    Staunend beobachtete Sherlock Holmes das gespenstische Treiben, während sein logischer Verstand auf Hochtouren arbeitete und aufkommende Furcht in Schach hielt. Er bemerkte die Regelmäßigkeit der Bewegungen. Er zählte die Sekunden zwischen den Auftritten des Leichnams und blickte in die Augen der vorbeischwebenden Gespenster. Das Licht der Intelligenz war nicht in ihnen. Er bemerkte die Drähte, welche die Kröten zogen. Sie waren nichts als groteske Marionetten.
    »Alles mechanisch«, sagte er aufatmend und trat in den Speisesaal.
    Im Licht der Taschenlampe konnte er sehen, daß hoch an einer Wand ein Balkon verlief, der offenbar mit einem Durchgang in Verbindung stand. Er stieß die steifen Tischgäste beiseite, kletterte auf den Tisch und erreichte mit einem Sprung den mit Spinnweben bedeckten Kronleuchter. Die feinen Fäden zupften an seinem Haar und den Händen. Im Nu war er die Kette hinaufgeklettert, an welcher der Kronleuchter hing, und brachte ihn in Schwingungen, bis er abspringen und die Balustrade des Balkons fassen konnte. Ein Zug seiner kräftigen Arme, und er hatte sie überwunden.
    Er klopfte sich den Staub von den Kleidern und wandte sich nach einem letzten Blick zu den hüpfenden Kröten und den bleichen Gespenstern zum Durchgang. Er führte ihn gleichmäßig aufwärts. Unterwegs passierte er Statuen, deren Köpfe sich drehten, und Spiegel, aus denen ihn fremdartige Gesichter angrinsten. Er betrachtete sie alle mit Geringschätzung. Dann kam er hinaus ins Tageslicht. In den gesegneten Sonnenschein.
    Er verspürte eine leise Enttäuschung und fragte sich, ob das alles sei. Einer seiner eigenen Grundsätze kam ihm in den Sinn: »Je phantastischer eine Sache ist, als desto weniger geheimnisvoll erweist sie sich in der Regel.«
    Er schloß die Tür des Spukhauses hinter sich und stand aufatmend im hellen Schein der Nachmittagssonne. Ein riesiger Hund erwartete ihn.
    Pluto.
    Pluto kratzte sich träge mit einer großen, schwammigen Pfote, und ein Floh von der Größe eines Groschens sprang in die Luft und hüpfte singend davon.
    Pluto zwinkerte. »Der Chef will Sie sprechen. Wundert sich schon, was Sie so lange aufhält.«
    »Chef?« sagte Sherlock Holmes erschrocken, bedrängt von einer vagen Erinnerung an den Hund von Baskerville.
    »Ja. Micky. Das Gehirn, wissen Sie. Er sagt, er will Sie sofort sehen, wenn Sie aus dem Spukhaus kommen. Also kommen Sie am besten gleich mit.«
    Bevor Sherlock Holmes sich bewegen konnte, sperrte Pluto die Kiefer auf und nahm ihn wie einen schmackhaften Knochen zwischen die Zähne. Dann trabte er davon.
    »Moriarty«, schnaufte Sherlock Holmes in sich hinein, während er auf und nieder wippte. Irgendwie, das war ihm klar, hatte er die Initiative verloren.
     
    Sherlock Holmes fand es nicht allzu unbequem. Pluto hielt ihn hoch und gab acht, daß seine Füße nicht am Boden schleiften. Außerdem biß er nicht allzu fest zu.
    Wie er so dahingetragen wurde, fand Sherlock Holmes Zeit, sich

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