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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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wieder. Sind niemals wieder erschienen.«
    »Vielleicht hat es etwas mit der Breite der Klinge zu tun. Ich habe sie mit der dünnsten Stelle durchgeschnitten, mit der Spitze. Dieser Blutfleck auf der Klinge? Stammt der von Ihnen?«
    »Ja, ich glaube. Ich glaube, auf diese Weise bin ich hierher gekommen. Und er befindet sich an der breitesten Stelle der Klinge! Sie glauben doch wohl etwa nicht …«
    Ich machte das Abendessen, und wir redeten bis spät in die Nacht. Wenn die linke Seite der Klinge Gegenstände in die Vergangenheit und die rechte Seite in die Zukunft schickte, dann hätte, als er seinen linken kleinen Finger durchschnitt, dieser entsprechend irgendwo in der Gegend um 1700 sich wieder materialisieren müssen, vorausgesetzt natürlich, daß das Gewicht eines Gegenstandes keine Rolle spielte. Und das erklärte auch, warum der Blutfleck nur auf der rechten Seite der Klinge war. Das Blut von der linken Seite war in die Vergangenheit geschleudert worden, während sich das Messer zeitlich nach vorn bewegte, da es Bullivant ja festhielt. Zeitreisen nach dem Bootstrap-System. [1]
    Wenn man von dieser Theorie ausging, überlegte Bullivant, dann müßte er, wenn er das Messer in der linken Hand hielt und seinen rechten kleinen Finger abschnitt, zurück in seine eigene Zeit versetzt werden, vorausgesetzt natürlich, daß er das Messer genau mit dem Blutfleck an seinem Finger ansetzte.
    »Aber warum? War Ihre Zeit denn soviel besser als diese? Ich hatte gedacht, Sie hätten sich mittlerweile daran gewöhnt?«
    »Das habe ich«, sagte er und fuhr mit den Fingern über das Bücherregal. »Die vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts waren primitiv. Wir sind inzwischen so viel weiter entwickelt. Es war nicht leicht, so weit zu kommen …«
    Dann sagte er nichts mehr, und bald darauf ging ich zurück in mein Hotel. Am nächsten Morgen wurde ich vom Klingeln des Telefons geweckt.
    »Ja bitte?«
    »Michael, hier ist David Bullivant. Würden Sie mir wohl einen Gefallen tun?«
    »Selbstverständlich. Sofern ich es in den nächsten Tagen erledigen kann. Am Samstag mache ich mich auf den Weg nach Manchester.«
    »Kein Problem. Es geht nur darum, daß Sie ein paar Pakete für mich abholen sollen.« Er nannte den Namen eines bekannten Kaufhauses und von zwei weiteren, die mir kein Begriff waren, und dann sagte er: »… und noch zwei weitere Dinge. Es hört sich vielleicht komisch an, aber bitte tragen Sie es mit Fassung.«
    Ich dachte zurück an unsere erste Begegnung im Britischen Museum und bezweifelte, daß er mich noch überraschen könnte, aber es gelang ihm. »Ich möchte, daß Sie einen kurzen Bericht über unsere Bekanntschaft niederschreiben, einschließlich aller Details, ihn unterschreiben und datieren. Als ob Sie das Ganze jemandem erklären müßten, der keinen von uns beiden kennt. Lassen Sie bitte nichts aus. Könnten Sie das tun?«
    »Ja, ich glaube schon. Und das andere?«
    »Kaufen Sie ein Buch, schreiben Sie mir eine Widmung hinein, unterschreiben und datieren Sie sie.«
    »Ein Buch?«
    »Ja, irgendein Buch.«
    »Hören Sie, Sie haben doch wohl nichts Gefährliches vor, oder?« fragte ich, da ich plötzlich Angst hatte, unsere sonderbare Bekanntschaft könnte zu einem Ende kommen und ich den merkwürdigen alten Kauz verlieren.
    »Nein, nein, nur ein Experiment. Wenn Sie alles besorgen und morgen so gegen – sagen wir – acht hier aufkreuzen könnten, dann werde ich Ihnen alles erklären.«
    Ich erledigte alles, worum er mich gebeten hatte. Bullivant erwartete mich schon, er trug wie immer seinen Tweedanzug. Er nahm die Pakete in Empfang, das Buch und das Manuskript, das ich am Nachmittag getippt hatte. Er überflog die erste Seite und grinste.
    »… einer jener idiotischen Typen … die immer noch von der großen Zeit in Indien zehren … – Ja, ich glaube, das stimmt auf gewisse Weise; wir klammern uns an die Vergangenheit, anstatt die Zukunft zu ergreifen. Ja, das ist sehr gut … Das wird mich immer an Sie erinnern.«
    »Entschuldigen Sie bitte diese Formulierung«, sagte ich verlegen, »aber ich wollte ein treffendes Bild von Ihnen zeichnen.«
    »Oh, ich bin sicher, das ist Ihnen gelungen. Ich werde es wie einen Schatz behandeln«, sagte er und steckte es in die Manteltasche; dann machte er sich daran, die Pakete auszupacken. Ich trat etwas zurück und beobachtete, wie die Dinge, die ich mitgebracht hatte, sich Stück für Stück zu einem Mosaik zusammensetzten. Ein Rucksack, eine

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