Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
ragte ein Felsenriff empor wie ein Knochenfinger, und das Meerwasser, das ihn von drei Seiten umfing, platschte um seine Flanken.
    Die Stute bockte, warf ihren Kopf hoch und schnaubte beunruhigt.
    »Was hast du denn?« fragte Deodat sie freundschaftlich und streichelte ihre fast weiße Mähne.
    Der Dörfler drehte sich um. Sein sonnengebräuntes Gesicht glich einer Gemme oder Kamee; Sommerhitze und beständige Not hatten es tief zerfurcht. Doch die Augen waren klar.
    »Das war eine dem heiligen Stephan, dem Märtyrer zu Jerusalem geweihte Kapelle, Gebieter!«
    »Und wieso fürchtet sich der Drache nicht vor dem Heiligen?« fragte der Ritter, hörbar mit Hohn in der Stimme.
    Der Alte bekreuzigte sich. »Das ist weiter weg – dort hinten«, antwortete er hastig.
    Mit furchtsamer Hand wies er auf den Felsen rechts in der Ferne, eine dem Meere abgewandte Berglehne.
    Das Tal, das sich hinter der Kapelle absenkte, lag ganz im Mittagsschatten jenes Bergrückens. Mit der Meeresbrise zog eine trübe Kühle vom Meer herauf.
    Der Reiter gab seinem Pferd die Sporen, so daß es sich bäumte und losgaloppierte. Lachend brachte er es wieder in seine Gewalt. Die beiden von der Hitze des Weges geplagten Hunde betrachteten die Prachtmähne mit müdem Staunen und folgten ihr schleppend.
    Der Ritter hielt inne und versetzte dem keuchend herangekommenen Greis, tief sich hinunterbeugend, einen Puff in die Seite.
    »Hör zu Alter – hast du ihn wirklich gesehen?«
    Der Bauer schlug sich auf die Brust.
    »Wie ich dich jetzt sehe, Gebieter.«
    »Erzähle!«
    Der Mann schüttelte sich.
    »Meine Söhne weideten die Schafe da unten, dort wo die Höhle aus dem Felsen kommt. Es war wie jetzt gegen Mittag, ich wollte ihnen gerade das Mahl bringen, da erschrak ich; denn ich erblickte DAS deutlich schon von weitem.«
    »Was hast du gesehen?«
    »Es war plötzlich aufgetaucht.«
    »Wie sah es aus?«
    »Schlimmer als die Medusa. Der Kopf wie der einer Schlange und lange Ohren wie ein Maultier. Groß wie ein Stier, und auf dem Rücken hat ES Flügel … wie … ja, wie Flossen … oder nicht, nein, eher wie bei einer Fledermaus. Ein gewaltiger Rachen, und Augen wie die Hölle, möge uns der heilige Stephan beschützen …«
    Der Greis bekreuzigte sich abermals.
    Herr de Gozon räusperte sich, doch schwieg er. Der Bauer kniff die Augen zusammen.
    »Schrecklich anzuschauen! Die Jungen, versteht sich, waren ausgerissen, Hammel da, Hammel hier – beim heiligen Glauben, ich kann ihnen keine Vorwürfe machen. Drei meiner Schafe fraß ES auf!« heulte er, von einem nachträglichen Gefühl der Verzweiflung befallen.
    »Drei? Für einen Drachen nicht gerade viel.«
    »Du mußt wissen, das Ungeheuer ist flink – das heißt, für die Schafe zu schnell. Es brach unter die Tiere wie der Fuchs in den Hühnerstall, berichteten meine Söhne; nur daß das Untier einfach geradeaus rannte ohne Haken und Ecken. Eine Woche später geschah das gleiche dem Josif Grinaldis und seinen Nachbarn … bei der heiligen Dreieinigkeit! Seitdem meiden wir das Tal wie die Pest – und was für herrliche Wiesen das dort sind!«
    »Ihr seid Hasenfüße«, befand der Ritter.
    »Da magst du recht haben, Herr!« Der Alte zog die Achseln hoch und verdrehte beide Hände zu einer Geste. »Wir sind keine Leute des Schwertes; obwohl, vor Wölfen fürchten wir uns nicht. Nein, vor denen keineswegs, aber jenes Ungeheuer ist für uns zu schrecklich – eine Gottesstrafe«, folgerte er, schicksalsergeben.
    Schweigend zogen sie weiter, ließen die tote Kapelle hinter sich und kamen in das wunderbar kühle, beschattete Tal hinab. Es war eine Labsal, doch nur für eine Weile. Der Ritter setzte den Helm wieder auf. Der Pfad verlor sich in dichtem, hohem Gras, die Felswände hauchten Schimmel und Feuchtigkeit aus, und dazu noch etwas …
    Zuerst blieben die Hunde stehen. Sie witterten, hoben ihre stumpfen Schnauzen. Das kurze Nackenhaar sträubte sich ihnen, zwischen den Zähnen beider drang ein mißtrauisches Knurren hervor. Jetzt wurde auch die Stute unruhig und fing an zu tänzeln. Von Westen wehte der salzige Geruch des Meeres.
    Doch mischte sich nun ein deutlicher Geruch von Moschus von woanders her bei. Der Wechsel aus der hitzeflimmernden Öde in diese dunkle Ecke war zu jäh, oder …?
    »Das, das hier – hier ist die böse Stelle.«
    Der Alte lief mit seinen schaukelnden Schritten schnellstmöglich weiter, im Vorbeigehen auf den Felsenvorsprung deutend, der das Tal überragte. Als auch der

Weitere Kostenlose Bücher