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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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ganzes Jahr lang weg sein und Vorlesungen halten. Ich schätze, da werde ich mich ganz schön einsam fühlen.«
    »Ich habe Adrian erzählt, daß du fährst. Er bat mich, dir etwas auszurichten.«
    »Aha?«
    »Er sagt, er hat etwas über Bullivant herausgefunden.«
    »Was?« Bullivant hatte geschrieben, um mir für das Buch zu danken, und wir hatten seither jährlich Weihnachtskarten ausgetauscht, immer nach dem gleichen Schema: meine im Rundschreib-Verfahren, seine mit einer gestochen feinen Schrift.
    »Adrian hat sich mit Fällen von mysteriösem Verschwinden beschäftigt. Nicht nur mit den großen wie die von Ambrose Bierce und Judge Crater, sondern vor allem mit den kleinen, geheimnisvollen.«
    »Klingt nach Begegnungen der dritten Art.«
    »Wenn du so willst. Jedenfalls stieß er auf die Erwähnung eines David Bullivant, eines Gebietsverwalters im Distrikt Lakhnau, der im Jahre 1842 spurlos verschwand. Es ging das Gerücht, daß er sich zum Zeitpunkt seines Verschwindens mit der Erforschung eines speziellen Kults beschäftigte – ohne genauere Angaben, aber Adrian ist sicher, daß es sich um Twaschri handelte.«
    Ich lachte. »Ich habe gerade Indiana Jones und der Tempel des Verderbens gesehen. Es ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen, aber damals trieben schon einige schlimme Gruppen ihr Unwesen. Es gab tatsächlich diesen Kult der Würger der Göttin Kali. Dieser Bullivant ruht wahrscheinlich seit hundertvierzig Jahren in einem unbekannten Grab. Und mein Bullivant ist ein armer Irrer oder eine Zufallserscheinung. Oder ein Verwandter, der das Verschwinden eines Vorfahren untersucht.«
    »Das habe ich auch gesagt«, antwortete Juli; ihre Stimme klang weit entfernt und dünn durchs Telefon, »aber Adrian hat auf einen bemerkenswerten Punkt hingewiesen. Die Anhänger von Twaschri glaubten nämlich, daß sie durch die Zeit reisen könnten.«
    »So?«
    »Das hat er jedenfalls gesagt.« Das Schwert der Zeit! »Wirst du Bullivant aufsuchen, wenn du dort bist?«
    »Nun, ich habe eine Woche Zeit in London, bevor ich landaufwärts fahre.« Ich erinnerte mich, daß sich Bullivant so ausgedrückt hatte. »Ja, das könnte ich eigentlich machen.«
    »Dann sei bitte vorsichtig.«
     
    Sei vorsichtig! Im Flugzeug nickte ich ein und wachte durch eine schreckliche Erscheinung auf, aber es war nur das Bordkino. Ich setzte den Kopfhörer auf, schob eine Al-Stewart-Kassette ein und las. Unsinn, dachte ich. Aber nachdem ich meine Sachen ins Hotel gebracht hatte, begab ich mich sofort zu Bullivants Wohnung.
    »Ja bitte? Nein so was, der Amerikaner! Kommen Sie doch herein!«
    Seine Wohnung war klein, die Amerikaner würden sie kuschelig nennen, die Engländer komfortabel ausgestattet. Die Einrichtung war im indischen Stil gehalten, wahrscheinlich zusammengetragen von Pakistan-Import- und Antiquitätengeschäften, aber dennoch gab es einige ganz hübsche Sachen. Das Regal war vollgestopft mit Büchern über Indien, die Kolonialverwaltung und das Viktorianische England, und außerdem gab es eine kleine Abteilung mit modernen Nachschlagewerken: Landkarten, politische Abhandlungen, Michelin-Führer, Jahresbände von Zeitungen. Ein Stapel des Guardian türmte sich neben dem Sofa auf.
    Bullivant machte Tee und quetschte mich über den Verlauf meiner letzten vier Jahre aus; zwischendurch nickte er, gab spärliche Kommentare ab und ermunterte mich immer wieder, weiterzureden. Zunächst dachte ich, er hätte sich verändert, wäre aufgeschlossener und gesprächiger geworden. Doch dann durchschaute ich seine Taktik: Solange ich redete, brauchte er nichts zu sagen, der alte Fuchs! Ich entschloß mich zu einem Frontalangriff und wartete, bis er den nächsten seiner kurzen Kommentare abgab.
    »Bullivant, erzählen Sie mir vom Schwert der Zeit!«
    Er hielt inne und sah mich forschend an, und einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte alles verdorben.
    Dann wich alle Farbe aus seinem Gesicht, und er stammelte: »Sie … sie wissen davon?«
    »Ich weiß einen Teil davon«, sagte ich. »Ich weiß, daß ein David Bullivant in der Gegend von Lakhnau im Jahre 1842 verschwunden ist. Ich weiß, daß er Verwalter war und Studien über den Twaschri-Kult betrieb« – ich war am Drücker, und es war durchaus zulässig, auf gut Glück zu raten –, »und daß sein Verschwinden irgendwelchen kultischen Handlungen zugeschrieben wird. Stimmt das?«
    »Ja«, stieß er mühsam hervor. »Sie wissen fast soviel wie ich.«
    »Wieso?«
    »Es ist nicht so einfach,

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