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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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wie es scheint. Was Sie erraten haben und was ich herausgefunden habe, mag tatsächlich stimmen, aber ich kann es nicht beweisen. Ich habe kein Erinnerungsvermögen.«
    Ich starrte ihn an, und er lächelte, wie jemand, der sich in die Enge getrieben fühlt. »Vielleicht sollte ich Ihnen alles erzählen, an das ich mich erinnere:
    Ich kam vor sechs Jahren wieder zu mir – ich nehme an, so könnte man es nennen –, und zwar in der Nähe eines Dorfes namens Swatuck in Indien. Ich lag am Boden, ausgestreckt im Dreck, als ob ich aus geringer Höhe heruntergefallen wäre. Ich trug zerlumpte bäuerliche Kleidung. In der rechten Hand hielt ich ein sonderbares Messer, und an der Stelle meines kleinen Fingers der linken Hand« – er hob sie hoch, um zu demonstrieren, daß ein Glied fehlte – »war eine frische Schnittwunde, die blutete. An dem Messer klebte ebenfalls Blut.
    Ich verband mir die Hand und machte eine Art Bestandsaufnahme. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, daß ich keinerlei Erinnerung mehr hatte, absolut keine. O natürlich, ich wußte noch, was ein Messer war und wie ich meine Hand verbinden mußte, solche elementaren Dinge. Als ich meine Kleidung untersuchte, fand ich darunter einen Lederbeutel. Eine Taschenuhr verriet, daß mein Name David Bullivant war und daß ich im Jahre 1810 irgendwo einen Abschluß gemacht und meine Mutter mir zu diesem Anlaß die Uhr geschenkt hatte. Darüber hinaus besaß ich lediglich ein Erkennungsvermögen für Gegenstände und die Fähigkeit, Sprache zu benutzen.«
    »Mein Gott«, sagte ich. »Wie konnten Sie überleben? Diese Welt ist schwierig, schwierig und teuer.«
    Er nickte zur Bekräftigung dessen, was ich gesagt hatte. »Glücklicherweise besitze ich eine überdurchschnittliche Intelligenz. Es war nicht leicht, aber ich lernte, daß es Radios und Flugzeuge und Wissenschaft und Geschichte gab. Kriege. Der Untergang unseres Reiches. Ich habe schnell aufgeholt, könnte man sagen.«
    »Aber …«
    »Geld? O ja, natürlich. Daraus hätte in der Tat ein Problem entstehen können, aber, sehen Sie, meine Taschen waren randvoll gefüllt mit Juwelen.«
    Als ich wieder Luft holen konnte, platzte ich heraus: »Dann haben Sie einen Tempel ausgeraubt!«
    »Ja, ich weiß. So muß es gewesen sein, damals 1842. Aber wie bin ich dann hierher gekommen?«
    »Das Schwert der Zeit? Haben Sie es?«
    Er erhob sich und ging in Richtung Küche, wobei er mir winkte, ihm zu folgen. Die Küche war modern und mit den neuesten technischen Errungenschaften ausgestattet, aber es gab auch eine Anzahl von viktorianischen Teesieben und andere ungewöhnliche Gerätschaften, die an Haken über der Spüle hingen. Ich nehme an, daß Bullivant sie in Antiquitätenläden gefunden hatte und nun ganz unbewußt benutzte.
    Vor der Spüle blieb er stehen.
    »O verflixt«, sagte er und wischte einen Haufen Karottenstiele in den Abfall. »Ich werde nachlässig.« Er griff in das obere Fach eines Schrankes und holte eine Pappschachtel herunter. Aus der Schachtel nahm er ein Stoffbündel und legte es auf den Tisch. Es war vielleicht fünfundzwanzig Zentimeter lang.
    »Etwa das Schwert? Das hier?«
    »Ja.«
    Er packte es aus und brachte ein langes Messer von ungewöhnlichem Aussehen zum Vorschein; es hatte einen dunklen, geschnitzten Griff. Die Zeichen auf dem Griff deuteten annäherungsweise fremdartige Gesichter, Körper, Gliedmaßen, Augen und hier und da Bruchstücke einer unbekannten Schrift an, die durch Oberbalken verbunden waren.
    »Haben Sie sich jemals um eine Übersetzung bemüht?«
    »Ja. Ohne Erfolg. Es ist zu alt, zu primitiv. Es ist älter als alle Kulturen, die wir kennen. Aber sehen Sie hier, auf der Klinge. Haben Sie so etwas schon mal gesehen?«
    Von einem unendlich kleinen Punkt aus wurde die Klinge immer breiter, bis sie schließlich am Schaft gut drei Zentimeter maß. Von dem breiten Rücken verjüngte sie sich gleichmäßig bis hinunter zur Schneide, die sich von der Spitze nach hinten verdickte, so daß sie am Schaft die Form eines dicken Keils hatte. Ich hätte ein Messer niemals so geformt. Es sah in höchstem Maße untauglich aus, und das sagte ich ihm auch.
    »Das ist es«, bestätigte Bullivant. »Sofern man damit schneiden will. Es schneidet nicht richtig. Sehen Sie!«
    Er stellte die Klinge aufrecht auf den breiten Rücken. Ein dunkler Fleck, umgeben von kleineren Spritzern, bedeckte die Unterseite des Keils: Blut, von dem ich annahm, daß es das sechs Jahre alte von Bullivant war. Aber

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