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Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Die wahre Lehre - nach Mickymaus

Titel: Die wahre Lehre - nach Mickymaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Fragen.
    Ich fragte sie, warum sie mir befohlen hatte, mich am Fluß zu waschen.
    »Der Tempelbezirk ist vergiftet wie der Dred«, sagte sie. »Man glaubt, daß das Gift ausgewaschen werden kann.«
    »Hast du dich heute nacht auch im Fluß gewaschen?« fragte ich.
    »Ich wasche mich oft dort, wo der Kalte Bach aus den Hügeln herunterkommt. Mach dir keine Sorgen, kleiner Bruder.«
    Aber ich machte mir Sorgen. Wenn der Tempel so übel und giftig war, wie er schien, fragte ich sie, warum war sie dann in den Dienst gegangen? Welche Ehre war diesen schrecklichen Preis wert?
    »Im Schein des Abendfeuers haben wir über gewisse Rätsel gesprochen. Zum Wohl von uns allen will ich die Lösungen finden.« Ihre Stimme war gedämpft, als wir im Sternenlicht wanderten.
    »Das Rätsel von Makna und dem Tempel?« fragte ich.
    »Ja. Rätsel über den Anfang der Dinge. Über den augenblicklichen Stand der Dinge. Mera und ich glauben, daß die Welt nicht so ist, wie Feder sie haben wollte. In unserem Land stimmt etwas nicht.«
    Ich war verblüfft. »Warum glaubst du, daß etwas nicht stimmt?«
    »Vielleicht erinnerst du dich an eine alte Geschichte. Als Mera und ich noch ganz klein waren, hörten wir einmal einem Betrunkenen in einer Schenke zu. Er kam aus einem fernen Land. Er war noch nie in Handred gewesen. Er stellte eine Frage. Weißt du sie noch?«
    Sie lächelte, als sie mir diese Frage stellte. Das Sternenlicht machte etwas mit ihren Augen und verfärbte sie von hellem Lavendel zu Platin. Es machte sie härter und kälter, und ich schauderte wieder, wie ich schon oft an diesem Tag geschaudert hatte. Was hätte ein Fremder von meiner Schwester gedacht? Hätte er sie für schön gehalten, oder hätte er auch geschaudert?
    »Er fragte, was die Menschen von Handred getan hätten, um die Götter zu beleidigen«, antwortete ich im Tonfall eines Schülers, der eine Lektion aufsagt.
    Arain blickte die Straße hinunter und fuhr fort. »Ja. Er sagte, daß er noch nie einen Ort gesehen hätte, an dem es so viele Krankheiten gab. Er hätte noch nie von einem Fluß gehört, der so vergiftet sei wie der Dred. Er hätte noch nie eine Stadt mit so wenigen Kindern gesehen. Und als er Mera und mich in der Ecke entdeckte, sagte er, er hätte noch nie eine Stadt mit so vielen Ungeheuern gesehen.«
    »Aber das hast du mir nie gesagt!« rief ich. Ich fühlte mich schuldig, weil ich einen Augenblick zuvor dasselbe gedacht hatte. Ich verschanzte mich hinter meiner Empörung. »Wie konnte er nur so etwas sagen! Du bist schön! Du warst ein Geschenk von Feder!«
    Arain lachte humorlos. »Vielleicht für dich und die anderen Gäste in der Schenke. Sie schlugen den armen Mann und warfen ihn hinaus. Dennoch, seine Worte waren wahr.«
    »Aber du und Mera, ihr seid keine Ungeheuer!«
    »Wir sind anders als andere. In gewisser Weise sind wir wirklich Ungeheuer. Du bist nur an unseren Anblick gewöhnt, Kirth. Außerdem hatte der Fremde recht. Die Frauen von Handred haben Geschöpfe geboren, die man kaum Menschen nennen kann. Sehr viele. Das bemerkt jeder Reisende.«
    »Aber was macht das?«
    »Ich wundere mich nur. Wir wollen wissen, wie das kommt. Wir wollen wissen, was den Fluß vergiftet hat. Wir wollen wissen, was die drei Städte getötet hat und was unter unserem Tempel begraben ist und was es ist, das wir auf Befehl Maknas bis in alle Ewigkeit bewachen sollen. Wir glauben, daß die Antwort auf eine große Frage auch die anderen beantwortet. Wir wollen wissen, was Radna ist, Kirth. Nur das geheime Wissen der Diener von Feder kann die Antwort geben. Einer von uns mußte gehen.«
    Es war also nicht so einfach, wie Mera gesagt hatte. Sie waren nicht zwei Leute, die verschiedene Dinge wollten. Ich sollte nie erfahren, wie sie es entschieden hatten – indem sie Strohhalme zogen oder Blätter lasen oder durch ein Kampfspiel, in dem jede um das Leben der anderen kämpfte. Wer konnte schon den Gewinner vom Verlierer unterscheiden?
    Nun schien das große Rad der Welt im Zentrum gebrochen. Die Sterne über meinem Kopf tanzten chaotisch, obwohl ich sie zur Ordnung ermahnte, und dunkle Vorahnungen übermannten mich. In meinen Ohren klingelte das vom rasend pochenden Herzen angetriebene Blut, denn nun wußte ich genau wie meine Schwestern, daß Arain bei dieser Suche sterben würde, wenn nicht ein Wunder geschah. Kein Mensch besaß die Kraft, tief in Radnas Geheimnisse einzudringen, ohne sein Leben zu verwirken. Das wußten sogar schon die Kinder in

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