Die Wall Street ist auch nur eine Straße
und wegen meiner einseitigen Konzentration auf die Arbeit hielt auch diese Ehe nicht lange. Ich bin nicht besonders stolz darauf, aber tiefe menschliche Beziehungen waren nie meine Stärke. Ich war 57, als ich Paige heiratete, und erst von da an konnte ich wirklich mit einer Frau zusammenbleiben. Ständig begannen Beziehungen und endeten wieder, darunter auch meine ersten beiden Ehen. Paige ist sicher ein besonderer Mensch, weil sie es mit mir aushalten konnte und immer noch kann. Ich bin einer von fünf Brüdern – wir haben keine Schwestern –, und mit einer Ausnahme haben wir alle mindestens eine Scheidung hinter uns. Wenn ich mit meinen Brüdern rede, habe ich das Gefühl, dass keiner von uns von den Eltern beraten wurde, wie man mit dem anderen Geschlecht umgeht. Und ich glaube auch nicht, dass mein Vater oder meine Mutter gewusst hätten, was sie uns sagen sollten, wenn wir sie danach gefragt hätten. Beide waren knapp über 20, als sie heirateten, und besaßen nicht viel Erfahrung, was Beziehungen betraf. Da ich die Mängel meiner eigenen Erziehung kenne – zu Selbsterkenntnis gelangte ich erst spät in meinem Leben –, hoffe ich, es bei meinen Töchtern besser zu machen. Alle Eltern müssen ihren Kindern die Grundlagen von Beziehungen mit dem anderen Geschlecht beibringen. Wenn die Mädchen älter werden, hoffe ich, ihnen meine Einsichten und Ratschläge vermitteln zu können. Ich möchte ihnen den Nutzen meiner Erfahrungen weitergeben, nachdem ich vieles auf die harte Art und Weise lernen musste.
Harte Arbeit ist eine Grundvoraussetzung an der Wall Street. Aber nur wenige haben Erfolg. In den Haussejahren verdienen viele Leute viel Geld, aber es ist schwieriger, das auch unter normalen Voraussetzungen zu schaffen – und während einer Baisse fällt es noch schwerer. Die meisten Leute fliegen aus diesem Geschäft heraus. Beharrlichkeit und Ausdauer sind absolut überlebensnotwendig, aber das Urteilsvermögen ist ebenso wichtig.
Um an der Wall Street Erfolg zu haben, muss man extrem neugierig sein. Wer weiß schon, was unter einem Felsbrocken hervorkriechen wird, wenn man ihn anhebt, und was daraus werden kann? Außerdem muss man skeptisch sein. Das meiste, was man Ihnen erzählt, wenn Sie diesen Felsbrocken angehoben haben, trifft nicht zu und ist das Ergebnis eines Mangels an Wissen oder verzerrter Informationen, sei es seitens der Regierung, einer Firma oder eines Individuums. Man kann nicht jedem alles glauben. Man muss alles selbst nachprüfen und beweisen. Man muss jede Quelle anzapfen. Hundert Leute können einen Raum betreten und gleichzeitig dieselben Informationen hören, aber nur 3 oder 4 Prozent von ihnen werden wieder herauskommen und zum richtigen Urteil gelangen.
Als ich an der Wall Street anfing, investierten nur sehr wenige Leute in Aktien. Noch in den 1960er-Jahren steckten Privatanleger und institutionelle Investoren wie Pensionsfonds und Stiftungen ihr Geld hauptsächlich in Anleihen. (Währungen und Rohstoffe? Kaum jemand an der Wall Street konnte diese Wörter auch nur buchstabieren.) Ende der 1960er-Jahre gab die Ford Foundation eine Studie in Auftrag, die zu dem Ergebnis kam, »Stammaktien« seien vernünftige Investments, denn die Kombination von Dividenden und Kapitalgewinnen mache sie ebenso attraktiv wie Anleihen. Eine neue Welt tat sich auf, als Investoren an den Markt gingen und aufgrund dieser Erkenntnisse agierten – dank der Glaubwürdigkeit der Ford Foundation. Für die MBAs von heute ist es unfassbar, dass Stammaktien noch vor wenigen Jahrzehnten als ungewöhnliche Investments galten. Aber erst nach Beginn der großen Hausse in den 1980er-Jahren kam es zu wirklich bedeutenden Veränderungen. Heute halten die meisten großen Institutionen den größten Teil ihrer Investitionen in Aktien. Als ich 1964 anfing, war es an der New York Stock Exchange ein großer Tag, wenn drei Millionen Aktien umgesetzt wurden. Dieses Volumen entspricht heute einem einzigen Trade. Drei Millionen Aktien werden oft schon vor dem Frühstück umgesetzt, also bevor der offizielle Börsenhandel überhaupt begonnen hat. Heute liegen die Umsätze bei ungefähr fünf Milliarden Aktien pro Woche, hinzu kommen weitere etwa fünf Milliarden an der NASDAQ.
Damals kannte man nur die an der New York Stock Exchange gelisteten Aktien, wenn man überhaupt etwas über Aktien wusste. Nur wenige Amerikaner investierten im Ausland. Infolge des Zweiten Weltkriegs war ein großer Teil der Welt zerstört, und die
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