Das Geheimnis der Wunderkinder
1.
James Quincy Holden war fünf Jahre alt. Sein fünfter Geburtstag wurde nicht mit der üblichen Horde lärmender, hungriger Kinder gefeiert, sondern begann erst um sieben Uhr mit einem Cocktail, den sein Gastgeber und Patenonkel Paul Brennan seinen Eltern servierte. Der Ehrengast Jimmy nippte Ginger Ale und knabberte Zuckerbrötchen, während ihm seine Geschenke gezeigt wurden: Kiplings »Dschungelbuch«, ein Spitz-Junior-Planetarium und ein Selbstbaukasten mit Teilen für einen Geigerzähler und einer Auswahl radioaktiver Mineralien zur Identifizierung.
Um acht Uhr wurde das Abendessen serviert. Jimmy Holden hatte das Menü selbst ausgewählt – mit Ausnahme des mit fünf Kerzen verzierten Geburtstagskuchens, eine Überraschung seines »Onkels« Paul Brennan.
Nach dem Essen hörten sie sich Musik an, die der Junge ebenfalls ausgesucht hatte, und dann wurde der Abend mit drei Runden Bridge, die der Junge gewann, beschlossen.
Als die Holdens kurz nach elf Uhr Paul Brennans Wohnung verließen, war Jimmy müde und angenehm gesättigt. Trotzdem hatte ihn die Party so angeregt, daß er nicht im Wagen einschlief, sondern zufrieden zwischen seinen Eltern saß und seinen Gedanken nachhing, bis der Wagen schon ein gutes Stück aus der Stadt heraus war.
Plötzlich kam dicht vor ihnen ein grelles Licht um die Kurve und blendete sie. Der entgegenkommende Wagen überfuhr die weiße Trennungslinie und raste auf sie zu.
Jimmys Mutter packte den Jungen, sein Vater kämpfte mit dem Steuerrad, um den Zusammenstoß zu vermeiden. Jimmy Holden hörte und spürte zugleich den scharfen Knacks, als sich der rechte Vorderreifen löste. Das Steuer drehte halb durch, und dann krachte und splitterte Holz, als der Wagen durch die seitliche Schutzbarriere brach. Es folgte ein Augenblick atemloser Stille, als ob das gesamte Universum einen Herzschlag lang aussetzte.
Der unwillkürliche Schrei seiner Mutter, das Fluchen seines Vaters und erneutes Krachen brachen die Stille. Der Wagen holperte einen Abhang hinunter; die Türen wurden auf geschleudert, gegen einen Baum geschlagen und abgerissen. Dann stellte sich der Wagen schräg, überschlug sich und rollte den restlichen Hang hinunter, während Metallstücke und Menschen herausgeschleudert wurden.
Jimmy fühlte, wie er in der Luft einen Purzelbaum schlug, der dann mit einem schweren dumpfen Aufprall endete.
Als Atem und Bewußtsein wiederkehrten, lag Jimmy in einer mit modrigen Blättern gefüllten Kuhle. Er war so benommen, daß er keinen Schmerz spürte und die merkwürdige Empfindung hatte, eher Zuschauer als Betroffener eines Dramas zu sein.
Es verlangte ihn so sehr nach seiner Mutter, daß er hätte weinen mögen, aber sein verwirrter Verstand sagte ihm doch, daß sie sicher an seiner Seite wäre, wenn sie könnte, und wenn sie nicht zu ihm kam, so konnte dies nur bedeuten, daß sie schwer verletzt war.
Mitten in seine wirren Überlegungen hinein, was er nun tun sollte, drang ein Geräusch – jemand kletterte den Hang der Schlucht herab.
Ein Geräusch bedeutete Hilfe. Erleichtert versuchte Jimmy zu rufen, aber kein Laut drang aus seinem Mund; die Nachwirkung des Schocks lähmte Stimme und Glieder.
Wieder mit diesem unwirklichen Gefühl, ein entfernter Zuschauer zu sein, beobachtete er, wie der Lichtstrahl einer Taschenlampe umherwanderte und seinen Weg durch die dichten Büsche, den Trümmerspuren folgend, bis zu dem zerschmetterten Wagen fand.
Der Neuankömmling blieb stehen. Der Lichtstrahl tanzte hierhin und dorthin, bis er auf ein zusammengekrümmtes Kleiderbündel fiel.
Der Fremde untersuchte mit der Fußspitze zerschmetterte Rippen, als sich dem Kleiderbündel am Boden ein schwaches Stöhnen entrang. Der Fremde bückte sich und richtete die Taschenlampe auf ein blutiges Gesicht. Und nun hörte Jimmy Holden ungläubig die Stimme seiner Mutter, die mühsam hervorstieß, »Paul … ich … wir …« Die Stimme erstarb in einem Gurgeln.
Der Mann mit der Taschenlampe prüfte das schlaffe Genick, indem er den Kopf der Frau scharf von einer Seite zur anderen drehte. Er schloß die Untersuchung ab, indem er den Kopf auf den feuchten Boden zurückfallen ließ.
Die brutale Behandlung, die der Fremde seiner Mutter angedeihen ließ, brachte Jimmy Holden in Wut. Der erstarrte Hilfeschrei wollte sich nun in einem Protest Luft machen, als er hörte, wie der Fremde befriedigt murmelte: »Nummer eins.«
Der Protest erstarb in Jimmys Kehle. Fasziniert beobachtete er, wie
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