Die Wanderapothekerin: Alle Teile des Serials in einem Band (German Edition)
nächstes Jahr das Reff nehmen und durch die Lande ziehen«, sagte der neunjährige Albert nach einer Weile.
»Nein!«, stieß seine Mutter hervor. »Du wirst nicht das Reff über die Landstraßen schleppen! Sollen andere gehen, aber du nicht. Ich will dich nicht auch noch verlieren.«
»Wir können das Wanderapotheker-Privileg nicht so lange behalten, bis du groß genug bist, um in die Fußstapfen des Vaters zu treten«, setzte Klara traurig hinzu.
Die Mutter nickte. »Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als es zurückzugeben. Vielleicht erhalten wir eine Kleinigkeit dafür.«
»Das wird nicht ausreichen, unsere Schulden bei dem Laboranten Just zu bezahlen, geschweige denn die Steuern, die Fürst Ludwig Friedrich erheben will, um seine Residenz auszubauen.«
Klara fand es ungerecht, dass ihr Landesherr, der doch bereits mehrere Schlösser besaß, Schloss Heidecksburg vergrößern und noch prächtiger ausstatten lassen wollte, während sie selbst nicht wussten, wovon sie im nächsten Jahr leben sollten.
»Ich werde mit Schwager Alois reden. Er weiß gewiss Rat«, sagte die Mutter mehr zu sich selbst als zu ihren Kindern.
Klara hob den Kopf und versuchte, in der wachsenden Finsternis das Gesicht ihrer Mutter zu erkennen. Dann stand sie auf, tastete sich zum Herd und blies die niedergebrannte Glut an. »Es ist nicht gut, wenn wir hier im Dunkeln herumsitzen«, sagte sie, während sie die Unschlittlampe an dem aufflammenden Feuer entzündete.
»Um mich herum ist alles dunkel!« Ihren Worten zum Trotz stand Johanna Schneidt doch auf und trat an den Herd, um ein paar Scheite nachzulegen.
»Habt ihr Hunger? Ich habe keinen«, sagte sie.
Klara wollte ebenfalls den Kopf schütteln, doch da meldete sich ihr jüngerer Bruder.
»Hunger direkt habe ich auch keinen, aber ich möchte essen, damit ich rasch wachse und bald so groß und stark werde, dass ich das Reff tragen kann.«
»Du wirst kein Wanderapotheker werden! Vielleicht lernt Herr Just dich als Destillateur an«, antwortete die Mutter. »Dann musst du nicht bei Wind und Wetter durch die Welt ziehen.«
»… sondern sitzt den ganzen Tag am Destillierkolben und mischst Öle an«, setzte Klara den Satz in ihrem Sinn fort. »Mutter, Herr Just hat zwar Gerold aushilfsweise als Destillateur beschäftigt. Doch Albert ist noch zu jung dafür. Warum also sollte Herr Just ihn nehmen?«
»Albert kann den Destillateuren zur Hand gehen«, erklärte die Mutter. »Wenn Just dies ablehnt, obwohl ich meinen Mann und meinen Sohn seinetwegen verloren habe, wird ein anderer unseren Albert anstellen.«
Klara bezweifelte das. Destillateur bei einem Laboranten wurde man, wenn bereits der Vater dort als solcher gearbeitet hatte, oder als jüngerer Sohn eines Laboranten, dem es nicht gelungen war, sich gut zu verheiraten. Bei diesem Gedanken kam ihr eine Idee.
»Wir müssen das Wanderapotheker-Privileg um jeden Preis behalten, Mutter, ganz gleich, ob Albert doch einmal das Reff auf den Rücken nehmen wird oder nicht. Mit ihm ist auch unser Recht verbunden, im Wald nach Kräutern zu suchen. Wenn wir das verlieren, können wir Herrn Just nur noch jene liefern, die wir in unserem Garten ziehen. Die Pflanzen, die er am besten bezahlt, finden wir jedoch nur im Wald.«
Mit bedrückter Miene nickte die Mutter. »Das ist wahr! Ich werde wohl doch auf den Rat des Schwagers hören. Er erscheint mir am besten.«
»Welchen Rat?«, fragte Klara beunruhigt.
»Das ist nichts, was ein Mädchen wie dich etwas angeht! Ich wollte im letzten Jahr bereits darauf eingehen, doch Gerold war dagegen. Hätte ich mich damals durchgesetzt, wäre er noch am Leben. So aber hat er mit seiner Weigerung nur den Schwager verärgert. Wir müssen diesem dankbar sein, dass Alois überhaupt nach dem Jungen gesucht hat.«
Johanna Schneidt begann wieder zu weinen und konnte nicht weiterarbeiten. Daher stellte Klara sich an den Herd, um die Abendsuppe zu kochen.
Anders als sie gab die Mutter sich ganz ihrer Verzweiflung hin. »Ich hoffe, dass mir der Schwager überhaupt noch hilft! Nicht, dass er sich von uns abwendet, weil Gerold ihm im letzten Herbst und auch noch im Frühjahr arg über den Mund gefahren ist. Du warst auch noch so ungefällig, der lieben Reglind nicht den Gefallen zu tun, um den sie dich gebeten hat. Wäre es so schlimm gewesen, den Schweinekoben auszumisten?«
Diesen Vorwurf der Mutter empfand Klara ungerecht. »Ich habe der Tante und Reglind über den Sommer wahrlich genug geholfen!«,
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