Die Weimarer Republik
nannte, die mit den alten Eliten paktierte und für einen korporativ organisierten Ausgleich zwischen Industrie und Landwirtschaft sorgte, die im Rahmen des Systems eine gewisse Pluralität duldete, aber die Kommunisten unterdrückte, die sich auf das Militär stützte und zugleich die Akklamation des Volkes suchte. Die Bewunderung Mussolinis reichte weit bis in das liberale, selbst bis in das linke Lager hinein. Es schien vielen plausibel, die Weimarer Republik einer autoritären Präsidialdiktatur zu opfern, die sich zudem noch auf die der Weimarer Reichsverfassung immanente «Reserveverfassung» berufen konnte. Die Abfolge der Präsidialkabinette seit 1930 illustriert den Such- und Experimentierprozess nach der angemessenen Form eines autoritären Regimes. Trotz des bald nur noch mühsam gewahrten Scheins der Legalität war auch Hitler bis zum Tod Hindenburgs 1934 bemüht, sich noch im Rahmen einer «konstitutionellen Diktatur» zu bewegen.
Die deutsche Diktatur war die zehnte, die in Europa errichtet wurde. 1939 waren nur noch elf der 28 Staaten parlamentarische Verfassungsstaaten, weltweit 17 der 65 souveränen Staaten. Das deutet auf die Instabilität der 1918 etablierten politischen Systeme hin. In keinem der im Weltkrieg unterlegenen Staaten überdauerte das parlamentarische System. Die revolutionäre Transformation im Zeichen der militärischen Niederlage wurde von weiten Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert, und die Friedensbedingungen wirkten krisenverschärfend: die Prestige- und Statusverluste, die ökonomischen Konsequenzen, die territorialen Einbußen oder die Sezessionsbestrebungen ethnischer Minderheiten. Und auch in keinem der 1918 neu gegründeten Staaten Ost- und Südosteuropas widerstand – mit Ausnahme der Tschechoslowakei – das parlamentarische Systemden Belastungen des politischen und ökonomischen Staatsbildungsprozesses.
Den Diktaturerrichtungen voraus gingen offene oder latente Bürgerkriegssituationen. Der Krisenkumulation von Krieg und Kriegsfolgen, von Revolution und Staatsgründung, von agrarischer Transition und Wirtschaftskrise waren die politischen Systeme nicht gewachsen. Die Parteiensysteme zersplitterten entlang der Grenzen enger sozialer und ökonomischer Interessen. Die Parteien waren zu dauerhafter Koalitionsbildung unwillig oder unfähig und standen sich in zumeist unversöhnlichen Lagern gegenüber. Häufige Neuwahlen und Regierungsumbildungen waren die Folge. Die Institutionengefüge büßten ihre Fähigkeit zur Konfliktregulierung ein. Die Handlungsschwäche des Staates ließ große Teile der Bevölkerung rebellierend zur Selbsthilfe greifen durch Klassenkampf und Bürgerkrieg. Zwar vermochten die parlamentarischen Systeme linke Revolutionsversuche abzuwehren, nicht aber rechte «Machtergreifungen», die nach Mussolinis Vorbild meist eine Mischung aus formallegaler Machtübertragung und illegaler Machteroberung waren.
Von vergleichbaren Krisenerscheinungen blieben auch die Sieger des Krieges oder die Neutralen nicht verschont. Obwohl England 1926, die Schweiz 1933 und Frankreich 1934 am Abgrund eines Bürgerkrieges standen, so war es doch bezeichnend für den gefestigten Grundkonsens, dass in dieser Staatengruppe Minderheitsregierungen ohne innere Destabilisierung möglich waren, vor allem in Skandinavien und England, und dass hier selbst sozialdemokratische Minderheitskabinette seit Anfang der 20er-Jahre toleriert wurden. Dagegen legt die Kollaboration der Franzosen mit Marschall Pétains Vichy-Regime 1940 die Annahme nahe, dass der parlamentarische Konsens dort brüchig war.
In diesem europäischen Kontext kann die Weimarer Republik nicht in erster Linie von ihrem Ende her beurteilt werden: als Vorgeschichte des Dritten Reiches, als Intermezzo zwischen autoritärem Kaiserreich und totalitärer Diktatur. Es wäre ebenso ungerechtfertigt, sie aufgrund der in der Gründungsphase «verpassten Chancen» als «schwache» Republik zu beurteilen, diemehr an den eigenen Defiziten als an dem Potenzial ihrer Gegner zerbrach. Es gab und gibt viele monokausale wie geschichtsmythische Erklärungsversuche, das Scheitern der Republik als unausweichlich, fast als selbst verschuldet zu betrachten: die unvollständige, weil «verratene» Revolution; die unvollständige Niederlage, die der «Dolchstoß»-Legende Vorschub leistete; die verfehlte Verfassungskonstruktion, die in einer «Demokratie ohne Demokraten» dem «greisen» Reichspräsidenten mit dem Notstandsartikel 48 der
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