Die Weimarer Republik
Verfassung eine verheerende Machtfülle zuwies; das Wahlrecht, das der Zersplitterung des Parteiensystems Vorschub leistete; die Verschwörung(en) der nicht entmachteten alten Eliten aus Adel bzw. Großlandwirtschaft, Militär oder Schwerindustrie; die überzogenen Forderungen der Gewerkschaften, die der Wirtschaft die Substanz entzogen; der überharte Frieden von Versailles, der die staatsloyalen Kräfte diskreditierte und dem Revisionismus Vorschub leistete.
Jeder dieser Faktoren war für sich nicht ursächlich für den Kollaps der Republik, sondern konnte seine Wirkung nur im Rahmen eines Ermöglichungszusammenhangs entfalten. Das war in erster Linie der schwierige, durch Kriegskosten und Kriegsniederlage zusätzlich dramatisch überlastete Prozess des Überganges von einer agrarisch geprägten zu einer industriekapitalistisch dominierten Gesellschaft. Damit war die Republik noch nicht zum Scheitern verurteilt. Aber aus europäischer Perspektive lag ihr Kollaps durchaus im Rahmen des Möglichen, des Erwartbaren – der Erfolg des Dritten Reiches dagegen nicht.
I. 1918–1923/24:
Revolution und Konterrevolution
Im Spätsommer 1918 waren alle Hoffnungen des August 1914 auf einen kurzen, erfolgreichen Krieg verflogen, der die Nation innerlich einigen werde. Als Kaiser Wilhelm II. im August 1914 auf Anraten seines Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg den «Burgfrieden» ausrief, war das mehr als nur das Angebot der Versöhnung in der Stunde nationaler Not. Indem die Sozialdemokratie nicht unterdrückt, sondern in die gemeinsame Front dieses nationalen «Verteidigungskrieges» integriert wurde, sollte «eine Reform der Sozialdemokratie nach der nationalen und monarchischen Seite» eingeleitet werden, so das Kalkül des Reichskanzlers. Ein ähnliches taktisches Kalkül herrschte aufseiten der SPD, als sie am 4. August 1914 den Kriegskrediten zustimmte. Die rechte Mehrheit der Partei war entschlossen, die Bewilligung der Kredite zum Eintritt in eine die Kriegszeit überdauernde Integration in das bestehende System des Kaiserreichs zu nutzen.
Der nationale Konsens des August 1914 war von Beginn an brüchig und hielt nicht lange. Er war nur möglich geworden, weil angesichts der «Suggestion der Ereignisse», wie Clara Zetkin eingestand, und der nationalen Emotion dieser Tage die Kritiker auf der Rechten wie der Linken verunsichert waren. Sie meldeten sich wieder zu Worte, als erkennbar wurde, dass der Krieg nicht rasch zu Ende sein würde. Die radikale Rechte lehnte weitere Zugeständnisse an die SPD ab; die vom Reichskanzler praktizierte Form des Burgfriedens sei die «Plattform schwächlichen Willens», kritisierte Erich Ludendorff. Die radikale Linke der SPD warf der rechten Mehrheit Verrat an der internationalen Klassensolidarität und Friedenspolitik vor. 1917, mit der Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD) auf der Linken und der Vaterlandspartei auf der Rechten, hatten sichbeide Radikalismen auch organisatorisch verselbständigt; angesichts der allgemeinen Kriegsnot fanden sie eine beträchtliche Massenunterstützung.
1917 trat auch die deutsche Innenpolitik in ein neues Stadium. Die Kriegszieldiskussion hatte die inneren Fronten verhärtet. Angesichts der unentschiedenen Kriegslage und hoher Opferzahlen hatte sich das Reich im Dezember 1916 einer ersten Friedensinitiative nicht verweigern können. Dabei standen sich zwei Motivlagen unvereinbar gegenüber: Entweder gelang es, auf der Basis einer Verständigung zu einem «Ausgleichsfrieden» zu gelangen, oder man gewann im Falle des Scheiterns dieser Initiative die Legitimation für eine Verschärfung der Kriegführung, die den «Siegfrieden» bringen sollte. Die 3. Oberste Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff stand für den letzteren Kurs: Durch eine «rücksichtslosere» Politik sollten die Munitions-, Ernährungs- und Stimmungskrisen überwunden, die Entente militärisch zum Einlenken gezwungen werden. Der auf Verständigung nach innen wie nach außen setzende Reichskanzler Bethmann Hollweg wurde gestürzt. Nicht durch weitere Zugeständnisse sollte die innere Geschlossenheit herbeigeführt werden, sondern durch eine energische Führung, eventuell gar durch eine Militärdiktatur. Doch vor diesem letzten Schritt schreckte Ludendorff wiederholt zurück.
Gegen die Verschärfung der inneren wie der äußeren Kriegspolitik bildeten sich zwei Oppositionskerne heraus: einmal die Mitte-Links-Parteien, die die
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