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Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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ie beiden ausländischen Herren, die über Vallettas Marktplatz schlenderten, sahen so aus, als hätten sie Geldbeutel, die es sich zu stehlen lohnte. Wohl wissend, dass sie einen Jungen seiner Größe in der lärmenden Menge nicht bemerken würden, beschattete Nikolai sie unauffällig. Ein Stimmengewirr aus einem Dutzend oder noch mehr Sprachen umschwirrte ihn. Er kannte sie alle, und in den meisten konnte er sich auch verständlich machen. Valletta war der Knotenpunkt des Mittelmeers, wo sich Europa, Afrika und Asien begegneten und ihre Waren tauschten.
    Die Männer hatten die blasse Gesichtsfarbe von Nordeuropäern. Als Nikolai nahe genug an sie herankam, um ihr Gespräch zu hören, merkte er, dass sie Englisch sprachen. Das war eine der Sprachen, die er am besten beherrschte, da seine Mutter eine Vorliebe für englische Seeleute gehabt hatte.
    Andere Ausländer streiften auf dem Markt umher, doch diese beiden hatten das Auftreten und Aussehen reicher Herren - und waren dumm genug, allein und ohne Geleitschutz unterwegs zu sein. Sie würden von Glück sagen können, wenn sie wenigstens mit ihren Kleidern am Leib zu ihrem Schiff zurückgelangten.
    Nikolai folgte den Männern und schlüpfte hinter einen Eselkarren, um näher an seine Beute heranzukommen. Seine Fähigkeit, unbemerkt zu bleiben, hatte es ihm in den Jahren nach dem Tod seiner Großmutter ermöglicht, nicht zu verhungern, auch wenn er es nur selten fertigbrachte, sich wirklich gut zu ernähren.
    Der größere Engländer, ein stämmiger Mann, dessen rötlich braunes Haar schon stark von grauen Fäden durchsetzt war, blieb stehen, um den Silberschmuck eines einheimischen Straßenhändlers zu bewundern. Er hob ein Paar filigrane Ohrringe auf. »Die würden meiner Frau gefallen, glaube ich.«
    »In Griechenland haben wir bessere gesehen, Macrae«, bemerkte sein Begleiter, der kleiner und jünger war, von drahtiger Gestalt und wie ein Dandy angezogen. »Sag mir noch einmal, warum du so versessen darauf warst, in Malta haltzumachen.«
    »Weil es eine Wohltat ist, für ein paar Tage wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.« Nachdem Macrae sich mit dem Straßenhändler über den Preis geeinigt hatte, kaufte er zwei Paar Silberohrringe. »Außerdem hatte ich das Gefühl, dass wir hier etwas oder jemand Interessanten finden würden.«
    »Das wohl kaum«, erwiderte der andere Mann verächtlich.
    Nikolai achtete nicht besonders auf die Unterhaltung, sondern war höchstens froh darüber, dass sie die Aufmerksamkeit seiner Opfer in Anspruch nahm. Als der größere Mann sich seinem Begleiter zuwandte, glitten Nikolais Finger leicht wie Schmetterlingsflügel in die rechte Rocktasche des Mannes. Ja, da waren Geldstücke ...
    Plötzlich wurde Nikolai am Handgelenk ergriffen und sah sich von durchdringenden grauen Augen gemustert. Augen, die ihn ansahen, wie es niemand mehr getan hatte, seit seine Großmutter verstorben war.
    Nikolai wehrte sich erbittert, biss Macrae in die Hand und riss sich los, als der Mann fluchend seinen Arm losließ. So schnell er konnte, rannte Nikolai auf eine nahe Gasse zu. In den verschlungenen schmalen Seitenstraßen von Valletta würde er diese schwerfälligen Esel ruck, zuck abhängen können.
    Der kleinere Mann blaffte einige unverständliche Worte, worauf die Luft plötzlich ganz seltsam prickelte und Nikolais Glieder ihm den Dienst versagten. Statt weiterlaufen zu können, schaffte er es kaum noch, sich auf den Beinen zu halten. Schwer atmend taumelte er gegen die Backsteine der Gassenwand. Er hatte sich nicht mehr so geschwächt gefühlt, seit er fast dem Fieber erlegen war, das auch seine Mutter ins Grab gebracht hatte.
    Macrae betrat die Gasse und legte die Hände auf Nikolais Schultern, bevor er sich bückte, damit ihre Augen auf gleicher Höhe waren. »Wir wollen dir nichts Böses«, sagte er in einigermaßen gutem Italienisch.
    Nikolai spuckte ihn an, verfehlte merkwürdigerweise aber irgendwie sein Ziel.
    Macrae runzelte die Stirn. »Er scheint kein Italienisch zu verstehen«, sagte er auf Englisch zu seinem Begleiter. »Ich wünschte, ich verstünde dieses miserable Arabisch, das die Einheimischen sprechen.«
    Nikolai hielt sich nicht damit auf, erneut zu spucken, da es beim ersten Mal nichts genützt hatte, aber jetzt knurrte er wie ein Hund. Miserables Arabisch! Maltesisch war die uralte Sprache der Phönizier. Da sie nie alphabetisiert worden war, war sie die ureigene Sprache Maltas und natürlich ein Mysterium

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