Die Weisheit des friedvollen Kriegers
Alles ist ein Rätsel.«
Socrates besann sich einen Moment. » Meine Unwissenheit beruht auf dieser Erkenntnis. Deine Erkenntnisse beruhen auf Unwissenheit. Ich bin ein spaßiger Narr. Du bist ein ernsthafter Esel!«
Sokrates, der griechische Philosoph und Namensvetter meines Mentors, behauptete von sich, der unwissendste Mensch von allen zu sein. Und seit der Zeit mit meinem eigenen Socrates kann ich dasselbe auch von mir behaupten: Ich besitze keinerlei gesichertes Grundwissen – kein bisschen, nicht die Spur davon. All die »Fakten«, die ich kenne, sind nichts als ein Kartenhaus, das auf einer Unzahl von Fragen balanciert.
Wir können uns einen ganzen Schatz an Tatsachen, Theorien und beweisbaren Schlussfolgerungen aneignen, unterhalb dieser Wissensfluten aber bleiben wir doch immer wie Kinder, die voller Staunen in den unendlichen Weltraum blicken. Der Zeitungsmann und ewige Zyniker H. L. Mencken meinte einmal: »Jetzt sind wir hier. Und alles, was die Menschheit darüber hinaus zu wissen meint, ist reiner Blödsinn.« Nun kann man Mencken bei aller Liebe nicht für einen Vordenker der Spiritualität halten. Aber selbst er wies auf die Mysterien des Lebens hin.
Wissen und Handeln
»Ich kann dir Dinge zeigen und Geschichten erzählen, Dan, ich kann dir Geheimnisse offenbaren. Wir können zusammen auf die Reise gehen – zuvor aber musst du begreifen, dass es bei solchen Geheimnissen nicht ankommt auf das, was du weißt, sondern auf das, was du tust. «
Socrates zog ein zerlesenes Lexikon aus der Schreibtischschublade und hielt es hoch. »Hier, lerne die Tatsachen, nutze das Wissen, das du dir erworben hast. Aber erkenne die Grenzen des Wissens. Denn Wissen allein genügt nicht, wenn das Herz dabei fehlt! Mit Wissen allein kannst du deine Seele nicht nähren, kannst du nicht am Leben bleiben. Das höchste Glück, den wahren Frieden findest du nicht durch Wissen. Das Leben verlangt mehr von dir als bloße Kenntnisse. Es verlangt Gefühle; starke Gefühle und Energie. Das Leben verlangt von dir richtiges Handeln – falls es dir darauf ankommt, deine Kenntnisse anzuwenden.«
» Wissen zählt nicht, auf die Taten kommt es an. « Oder: »Der Weg ist das Ziel.« Sprüche dieser Art kennen wir alle. Aber wie schon gesagt: Etwas zu wissen ist nicht dasselbe wie es wirklich zu erkennen und auch danach zu leben.
Uns allen ist klar, wie wichtig es ist, sich ausgewogen zu ernähren, Sport zu treiben und genügend zu schlafen. All das ist kein esoterisches Mysterium, das nur wenigen Auserwählten zugänglich ist. In den Tageszeitungen und großen Magazinen stehen alle möglichen guten Ratschläge. Und trotzdem bleibt uns der eigentliche Kern dieser Empfehlungen so lange verborgen, bis wir anfangen, danach zu handeln. Natürlich gibt es
auch Zeiten, in denen es angemessen ist, die Füße still zu halten und gar nichts zu tun. Wie auch immer, der friedvolle Krieger fängt nichts an, ohne vorher darüber nachzudenken, und denkt nicht, ohne auch zu handeln.
Was würde Socrates wohl antworten, wenn man ihn nach weiteren Tipps fragte, wie man abstraktes Wissen in konkretes Handeln umsetzen könne? Ich glaube, er würde seinen Steckschlüssel hinlegen, sich die Hände abwischen und sagen: »Träum groß. Fang klein an. Und dann verbindest du die Punkte.«
Der Weg der Tat
Er richtete sich auf dem Teppich auf und sah mich ernst an. »Alle deine Gefühle und Reaktionen sind automatisch, vorprogrammiert und vorhersehbar. Meine sind es nicht! Ich lebe spontan. Dein Leben ist festgelegt durch deine Vergangenheit. «
Socrates sagte häufiger: »Das ist ein Weg der Tat.« Ich dachte immer, damit meinte er Aktivität, Stärke, Dynamik und Direktheit – sich nicht zurückzuhalten, nicht herumzueiern, sondern mit aller Entschiedenheit zu handeln. Meine Leser haben das auch so aufgefasst.
Doch im Grunde sprach Socrates von einem so radikalen Zugang zur Wirklichkeit, dass ich ihn in vollem Umfang erst fast drei Jahrzehnte später richtig verstand: Ihm war bewusst, dass alle unsere Gefühle, Gedanken, Überzeugungen und Erinnerungen Tendenzen in uns
erschaffen, auf eine bestimmte Art und Weise zu agieren. Ein Beispiel: Wenn wir traurig oder sauer sind, Angst haben oder uns einfach nur richtig elend fühlen, neigen wir dazu, uns anders zu verhalten, als wenn wir glücklich und voller Selbstvertrauen sind. Die meisten von uns leben ein Seifenopernleben. Wir sind Sklaven unserer Neigungen und hoffen, dass wir
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