Die Weisse Massai
schnell wie möglich wiederkommen werde. Ich schreibe ihm meine Adresse auf und bitte ihn um seine. Nur zögernd schreibt er mühsam seinen Namen und die P.O. Box auf. Ich kann ihm gerade noch das Geld zustecken, und schon nimmt ihn der Wärter wieder mit. Beim Weggehen schaut er zurück, bedankt sich und sagt, ich solle Marco grüßen.
Langsam gehen wir zurück und warten in der einfallenden Dunkelheit auf einen Bus. Erst jetzt merke ich, wie erschöpft ich bin, heule plötzlich los und kann nicht mehr aufhören. Im überfüllten Matatu starren alle die weinende Weiße mit dem Massai an. Mir ist es egal, ich will am liebsten sterben.
Es ist bereits nach 20 Uhr, als wir die Likoni-Fähre erreichen. Marco fällt mir wieder ein, und ich bekomme Schuldgefühle, weil ich seit mehr als sechs Stunden über die vereinbarte Zeit hinaus verschwunden bin.
Während wir auf die Fähre warten, sagt Edy: »No bus, no Matatu to Diani-Beach.« Ich glaube, mich verhört zu haben. »Ab 20 Uhr fahren keine öffentlichen Busse mehr bis zum Hotel.« Das kann nicht wahr sein! Wir stehen im Dunkeln bei der Fähre, und drüben geht es nicht weiter. Ich gehe die wartenden Autos ab, ob sich unter den Insassen Weiße befinden. Zwei heimkehrende Safari-Busse sind dabei. Ich klopfe an die Scheibe und frage, ob ich mitfahren kann. Der Fahrer verneint, er dürfe keine Fremden aufnehmen. Die Insassen sind Inder, die ohnehin schon alle Plätze belegt haben. Im letzten Moment fährt ein Auto auf die Rampe, und ich habe Glück. Zwei italienische Nonnen, denen ich mein Problem erklären kann, sitzen darin. Angesichts meiner Situation sind sie bereit, mich und Edy zum Hotel zu bringen.
Eine dreiviertel Stunde fahren wir durch die Dunkelheit, und ich bekomme Angst vor Marco. Wie wird er reagieren? Selbst wenn er mir eine Ohrfeige verpaßt, würde ich das verstehen, er wäre völlig im Recht. Ja, ich hoffe sogar, daß er soweit geht und ich dadurch vielleicht wieder zu mir komme. Immer noch begreife ich nicht, was in mich gefahren ist und warum ich die Kontrolle über jegliche Vernunft verloren habe. Ich merke nur, daß ich so müde bin wie nie in meinem Leben zuvor und das erste Mal große Angst empfinde, vor Marco und vor mir selbst.
Beim Hotel verabschiede ich mich von Edy und stehe kurz darauf vor Marco. Er schaut mich traurig an, kein Geschrei, keine langen Worte, nur dieser Blick. Ich falle ihm um den Hals und weine schon wieder. Marco führt mich in unser Häuschen und spricht beruhigend auf mich ein. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit einem so liebevollen Empfang. Er sagt nur: »Corinne, es ist alles gut. Ich bin so froh, daß du überhaupt noch lebst. Ich wollte gerade zur Polizei gehen und eine Vermißtenmeldung aufgeben. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben und gedacht, dich nicht mehr zu sehen. Soll ich dir etwas zu essen holen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, geht er und kommt mit einem beladenen Teller zurück. Es sieht köstlich aus, und ihm zuliebe esse ich, soviel ich kann. Erst nach dem Essen fragt er: »Und, hast du ihn wenigstens gefunden?« »Ja«, antworte ich und berichte ihm alles. Er schaut mich an und meint: »Du bist eine verrückte, aber sehr starke Frau. Wenn du etwas willst, gibst du nicht auf, nur warum kann nicht ich den Platz dieses Massai einnehmen?« Eben das weiß ich nicht. Ich kann mir auch nicht erklären, welches magische Geheimnis diesen Mann umgibt. Hätte mir jemand vor zwei Wochen gesagt, ich würde mich in einen Massai-Krieger verlieben, ich hätte ihn ausgelacht. Nun stehe ich vor einem riesengroßen Chaos.
Während des Heimflugs fragt Marco: »Wie soll es nun weitergehen mit uns, Corinne? Es liegt an dir.« Es fällt mir schwer, Marco das Ausmaß meiner Verwirrung deutlich zu machen. »Ich suche mir so schnell wie möglich eine eigene Wohnung, auch wenn es nicht für sehr lange sein wird, denn ich will wieder nach Kenia, vielleicht für immer«, antworte ich. Marco schüttelt nur traurig den Kopf.
Ein langes halbes Jahr
Bis ich endlich eine neue Wohnung oberhalb von Biel finde, vergehen zwei Monate. Der Umzug ist einfach, da ich nur meine Kleider mitnehme und einige persönliche Sachen, den Rest überlasse ich Marco. Am schwersten fällt es mir, meine zwei Katzen zurückzulassen. Aber angesichts der Tatsache, daß ich sowieso weggehe, gibt es nur diese Lösung. Mein Geschäft betreibe ich weiterhin, aber mit weniger Engagement, weil ich ständig von Kenia träume. Ich besorge mir alles,
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