Die Weisse Massai
ein Massai auf. Er schaut sich um und kommt zögernd auf uns zu. »Hello«, begrüßt er uns und fragt, ob wir die Weißen seien, die mit Lketinga verabredet sind. Ich habe einen Klumpen im Hals und bekomme einen Schweißausbruch, während wir nicken. Er berichtet uns, Lketinga sei am Nachmittag am Strand gewesen, was normalerweise für Einheimische verboten ist. Dort wurde er von anderen Schwarzen wegen seiner Haare und seiner Kleidung gehänselt. Als stolzer Krieger wehrte er sich seiner Haut und schlug mit seinem Rungu, dem Schlagstock, auf seine Gegner ein. Die Strandpolizei nahm ihn kurzerhand mit, weil sie seine Sprache nicht verstanden. Jetzt sei er irgendwo in einem Gefängnis zwischen der Süd- und Nordküste. Er sei hier, um uns das mitzuteilen, und wünsche uns im Namen von Lketinga eine gute Heimreise.
Marco übersetzt, und als ich begreife, was geschehen ist, stürzt für mich eine Welt zusammen. Nur mit größter Anstrengung kann ich die Tränen der Enttäuschung zurückhalten. Ich flehe Marco an: »Frag, was wir tun können, wir sind nur noch morgen hier!« Er antwortet kühl: »Das ist hier eben so, wir können nichts machen, und ich bin froh, wenn wir endlich zuhause sind.« Ich lasse nicht locker: »Edy«, so heißt der Massai, »können wir ihn suchen?« Ja, er sammle heute abend bei den anderen Massai Geld und morgen um zehn Uhr fahre er los und versuche, ihn zu finden. Es sei schwierig, weil man nicht wisse, in welches der fünf Gefängnisse er gebracht worden sei.
Ich bitte Marco darum, daß wir mitgehen, er habe uns ja schließlich auch geholfen. Nach längerem Hin und Her willigt er ein, und wir verabreden uns mit Edy um zehn Uhr vor dem Hotel. Die ganze Nacht kann ich nicht schlafen. Ich weiß immer noch nicht, was in mich gefahren ist. Ich weiß nur, daß ich Lketinga wiedersehen will, ja muß, bevor ich in die Schweiz zurückfliege.
Auf der Suche
Marco hat es sich anders überlegt und bleibt im Hotel. Er versucht noch, mir das Vorhaben auszureden, aber gegen diese Kraft, die mir sagt, ich muß gehen, kommen alle gutgemeinten Ratschläge nicht an. So lasse ich ihn zurück und verspreche, gegen zwei Uhr wieder da zu sein. Edy und ich fahren in Richtung Mombasa mit dem Matatu. Diese Art von Taxi benutze ich zum ersten Mal. Es ist ein kleiner Bus mit zirka acht Sitzplätzen. Als er hält, befinden sich bereits dreizehn Leute darin, dichtgedrängt zwischen ihrem Gepäck. Der Kontrolleur hängt draußen am Fahrzeug. Ich schaue ratlos in das Gewühl. »Go, go in!« sagt Edy, und ich klettere über Taschen und Beine und halte mich in gebückter Haltung fest, damit ich in den Kurven nicht auf die anderen falle.
Gott sei Dank steigen wir nach etwa fünfzehn Kilometern aus. Wir sind in Ukunda, dem ersten größeren Dorf, das ein Gefängnis hat. Gemeinsam gehen wir hinein. Noch bevor ich einen Fuß über die Schwelle gesetzt habe, hält uns ein bulliger Typ auf. Fragend sehe ich Edy an. Er verhandelt, und nach etlichen Minuten, nachdem ich angewiesen wurde, stehenzubleiben, öffnet der Typ eine Tür hinter sich. Da es im Inneren dunkel ist und ich draußen in der Sonne stehe, kann ich nicht viel erkennen. Dafür schlägt uns ein so schrecklicher Gestank entgegen, daß ich Brechreiz verspüre. Der Dicke schreit etwas in das dunkle Loch, und nach ein paar Sekunden erscheint ein Mensch, der völlig verwahrlost aussieht. Es ist anscheinend ein Massai, doch ohne Schmuck. Ich schüttle erschreckt den Kopf und frage Edy: »Ist nur dieser Massai hier?« Offensichtlich ist es so, und der Gefangene wird zurückgestoßen zu den anderen, die am Boden kauern. Wir gehen, und Edy sagt: »Komm, wir nehmen nochmal ein Matatu, die sind schneller als die großen Busse, und suchen in Mombasa weiter.«
Wieder geht es hinüber mit der Likoni-Fähre und weiter mit dem nächsten Bus an den Stadtrand zum dortigen Gefängnis. Es ist wesentlich größer als das letzte. Auch hier werde ich als Weiße grimmig angeschaut. Der Mann hinter der Barriere nimmt keine Notiz von uns. Er liest gelangweilt in seiner Zeitung, und wir stehen ratlos herum. Ich stupse Edy an: »Frag doch mal!« Nichts passiert, bis Edy mir erklärt, ich solle diesem Kerl unauffällig einige Kenia-Schillinge hinlegen. Aber wieviel? Ich habe in meinem Leben noch nie jemanden bestechen müssen. Also lege ich 100 Kenia-Schillinge hin, was etwa zehn Franken entspricht. Scheinbar achtlos streicht er das Geld ein und schaut uns endlich an. Nein, in letzter Zeit
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