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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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Tanzen
    S ie zuckt nur ganz leicht zusammen, als sie das Geräusch hört. Es ist ein sattes Geräusch. Ein dumpfer, voller Aufprall. Zoe kennt es. Es erinnert sie immer ein bisschen an das Zuschlagen einer Autotür. Es muss dann aber ein dickes Auto sein. Vor ein paar Tagen hat sie einen Bericht über einen Sound-Designer gelesen. Erstaunt hat sie festgestellt, dass es kein Zufall ist, wenn eine Autotür schwer und mit warmem Klang ins Schloss fällt. Das muss so sein. So wollen es die Leute. Klingt wohl teuer. Zoe ist schnell weitergegangen, hört trotzdem das Kindergeschrei. Dieses laute Brüllen, das sie schon kennt. Vor ihrem inneren Auge sieht sie die Szene: das Kind, das gerade mit dem Kopf – wahrscheinlich der Nase – auf das Wipptier geschlagen ist, das Blut, die hektische Mutter, die schnell Feuchttücher aus der Wickeltasche zerrt. Andere Mütter, die panisch dazukommen, Tipps geben wie »flach hinlegen« oder auch »nicht hektisch werden. Das spürt das Kind.« Zoe geht schnell über die Straße. Nicht, weil sie sich schuldig fühlt. Sie hat ja nur vorgemacht, wie man auf einem Bein auf diesem Wipptier balancieren kann. Sie hat dem kleinen Jungen ja nicht gesagt, dass er es nachmachen soll. Natürlich wusste sie, dass er es trotzdem versuchen wird, während die Mutter in ihre Zeitschrift vertieft Zeit und Raum vergessen hat. Jetzt wird sie ein schlechtes Gewissen haben. Die Mutter. Hätte sie halt mal besser auf ihren Sohn aufgepasst. Dann müsste sie jetzt nicht mit ihm ins Krankenhaus.
    Zoe stößt die schwere Tür zur Halle auf. Durch das kleine Zwischenspiel auf dem Spielplatz ist sie spät dran. Die anderen sind schon alle umgezogen. Sie kneift Saskia in den Po.
    »He, neue Hose? Super! Geile Farbe.«
    »Ehrlich? Ich war mir nicht sicher, aber die war so megamäßig reduziert, da musste ich die einfach nehmen. Ein bisschen eng ist sie ja schon.«
    Saskia zupft dabei an der giftgrünen Hose rum. Als wolle sie den Stoff etwas dehnen. Saskia hat nicht Zoes Figur. Die Hüften sind ein bisschen zu breit, der Po ist ein bisschen zu rund, der Bauch ein bisschen zu schwabbelig. Der Bund der Sporthose schneidet in die Haut.
    »Die steht dir perfekt, und am Anfang sind doch alle Sachen ein bisschen eng. Nach dem Training rutscht die dir bestimmt über den Hintern«, versichert Zoe ihr, während sie selber Shorts und Shirt überstreift. Sie registriert Saskias Blick auf ihre dünnen Beine und den flachen Bauch überhaupt nicht.
    »Komm, Süße, wir sind spät dran. Lass uns mit den Popos wackeln«, beendet Zoe das Gespräch. Sie kann es überhaupt nicht erwarten, in den Tanzraum zu kommen. Von der ersten Stunde an wusste sie, dass African Dance genau ihr Ding ist. Die harten Rhythmen, die Trommeln, die scheinbare Monotonie, der schlagende Beat. Nach wenigen Minuten ist sie ganz in der Musik versunken, bewegt sich scheinbar wie in Trance. Sie stampft mit den Füßen, dreht sich, marschiert, lässt die Arme und das Becken kreisen. Instruktorin Christa brüllt die Schrittfolgen in ihr Mikro, peitscht die Mädchen ein, feuert sie an und zählt immer wieder den Einsatz neu an.
    Nach fünfundvierzig Minuten stellt sie den Rekorder ab und sagt nur freundlich »danke«. Die Mädchen klatschen und greifen kollektiv nach ihren Wasserflaschen. Völlig verschwitzt und gut gelaunt lassen sie sich in der Umkleide auf die Bänke fallen. Saskias Hose klebt in allen Körperfalten. Sie zieht sie verschämt runter, knüllt sie in ihre Tasche.
    »Das war gut«, findet Zoe und fummelt das Haargummi aus den verschwitzten Haaren. Sie hat es nicht nötig, sich schnell anzuziehen, Problemzonen wieder schnell in der Jeans verschwinden zu lassen. Als würde sie nur langsam aus einem Traum auftauchen guckt sie Saskia an.
    »Duschst du nicht?«
    »Ich muss noch Haare waschen und hier kriege ich die nicht vernünftig geföhnt. Mache ich lieber zu Hause«, antwortet Saskia schnell. Wann immer es geht, vermeidet sie es, sich nackt neben Zoe unter die Dusche zu stellen.
    »Dann bis morgen«, verabschiedet sich Zoe, ehe sie langsam aus ihrer Shorts steigt.
    Als sie auf dem Rückweg über den Spielplatz geht, sieht sie sofort den dunklen Fleck unter dem Wackeltier. Ihr fällt jetzt erst auf, dass dieses Spielgerät wohl ein Pferd darstellen soll. Sofort erklingt in ihrem inneren Ohr »Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er«.
    »Passt ja irgendwie«, denkt sie und wundert sich doch. Der dunkle Fleck darunter ist ziemlich groß.

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