Die Weiterbildungsluege
wieder wird versucht, aus Menschen etwas zu machen, was sie nicht sind. So geschehen bei einer Mitarbeiterin, 28 Jahre.
Sie war der eben erwähnte Typ Mäuschen und lebte zurückgezogen in ihrem Loch, sprich an ihrem Schreibtisch hinten links in
der Finanzbuchhaltung. Die spindeldürre Dame mit dem Kurzhaarschnitt hatte sich durch ihre Emsigkeit im Kreditorenbereich
hervorgetan. Sie war ein »fleißiges Bienchen«. Ruhig und nett. Sie war so unscheinbar, dass dem Chef nicht auffiel, dass sie
ständig Überstunden anhäufte, um einen guten Job zu machen. Als es einmal offensichtlich wurde, waren es fast 500. Eines Tages
hatte ihr Abteilungsleiter eine gute Idee: Aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz beförderte er sie zur Gruppenleiterin. Sie
war fortan für die sechs Debitorenmitarbeiterinnen verantwortlich. Sie war hocherfreut, aber noch unsicher angesichts dieser
Herausforderung. Deshalb bekam sie eine zweitägige Fortbildung mit dem Titel »Gestern Kollege, heute Chef«. Danach arbeitete
sie weiter wie ein Berserker. Die Kollegen im Team beklagten zunehmend, dass sie ihre Führungsaufgabe nicht wahrnahm. Das
führte naturgemäß zu Konflikten zwischen ihr und dem Team. Sie sah es als konzertierte Aktion einer speziellen Kollegin an,
die auf ihren Job erpicht sei. Sie verstand nicht, was kritisiert wurde. Sie wollte doch keinem etwas Böses. Als jüngstes
von drei Geschwistern hatte sie gelernt, zurückhaltend und nicht fordernd zu sein. Mittlerweile hatte sie einen neuen Chef,
der seine Erwartungen von Ownership, Durchsetzungsfähigkeit und Selbstständigkeit klarer adressierte als der alte Chef. Sie
verstand es nicht, sondern rief nach weiteren Führungstrainings. Dabei hatte sie mittlerweile ein weiteres Programm absolviert
und erhielt angesichts ihrer Führungsschwäche ein Einzelcoaching. Dort traf ich sie. Sie fand es ungerecht, was mit ihr geschah.
Und Gerechtigkeit wurde in ihrer Familie großgeschrieben. Sie hatte das Gefühl, alle seien gegen sie. Sie meinte, |28| alles zu geben. Und sämtliche Versuche, ihr in Zusammenarbeit mit ihrem Chef aufzuzeigen, was die Führungsrolle von ihr erforderte,
endeten in der Sackgasse. Da sich die Dame seit einiger Zeit auch im Betriebsrat engagierte, traute sich niemand, das Wort
gegen sie zu erheben – zumal sie dies als Angriff gegen ihre wichtige Betriebsratsarbeit werten würde. Das Ende vom Lied war
nach etwa zwei Jahren eine geschickt eingefädelte interne Umstrukturierung in der Abteilung, bei der die nunmehr 30-Jährige
eine Spezialistenfunktion bekam und ihrer Führungsrolle enthoben wurde. Böse Gemüter hofften, dass sie sich möglichst schnell
in die Mutterrolle verabschieden möge.
Solche Entwicklungen habe ich oft erlebt. Einen Gefallen tut man damit keinem. Verschiedene psychologische Ansätze erklären,
warum solche Personalentwicklungsmaßnahmen zum Scheitern verurteilt sind. So beschreibt die in den 1950er Jahren begründete
Transaktionsanalyse 13 recht gut, wie sich unsere Kindheitserfahrungen bis ins hohe Erwachsenenalter auswirken. Es ist also etwas Wahres an dem
Sprichwort: »Du bist als Kind wohl mit dem Klammerbeutel gepudert worden.«
Der Begründer der Transaktionsanalyse, der amerikanische Arzt und Psychiater Eric Berne, beschreibt in seinem Ansatz 14 , dass wir in den ersten fünf Lebensjahren am stärksten für unser Leben geprägt werden. Wir erleben das Vorbild unserer Eltern,
hören Sätze und Regeln, speichern alles unreflektiert ab und wundern uns Jahrzehnte später, was uns innerlich reitet. Eine
Freundin unserer Familie berichtete, ihr Vater habe daheim ein strenges Regiment geführt. Eine eherne Regel lautete: Es darf
im ganzen Haus nur ein einziges offenes Paket Papiertaschentücher herumliegen. Und wenn dann doch mal ein zweites oder gar
drittes Paket sichtbar wurde, wackelte bei seinem Wutausbruch der Schornstein. Sie selbst bekommt heute noch feuchte Augen,
wenn sie mehr als ein Paket offen herumliegen sieht. Oft kennen wir gar nicht bewusst die Hintergründe und Zusammenhänge,
die uns als Erwachsene auf bestimmte Weise denken und fühlen lassen. Manche ursprünglich |29| sinnvollen Regeln sind sogar längst überholt. Genauso prägen uns nach Berne bestimmte Erlebnisse und Erfahrungen, die wir
als Kind machen. Als kleiner Junge beobachtete ich, wie sich meine Eltern davon gestört fühlten, wenn jemand aus dem Verwandten-
und Freundeskreis anrief. Sagte ich
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