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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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finden können.«
    Gerswind warf sich einen Mantel aus Schaffell über, reichte Adeltrud ihren Filzumhang und legte noch ein paar Scheite aufs Feuer.
    »Komm, Kind, lass uns gehen, bevor es dunkel wird. Und du, Judith, bedienst dich an allem, wonach dir gelüstet. Vielleicht möchtest du dich nach deinem langen Ritt auch hinlegen.« Sie nickte zum Bett neben der Feuerstelle in der Mitte des Raumes. »Wir reden später weiter.«
    Nachdem Gerswind ihre Tochter bei der Witwe Gislind abgegeben hatte, eilte sie den Hang zur Abtei hinunter. Wie erwartet war der Reisezug, mit dem Judith gekommen war, dort abgestiegen.
    Gerswind stellte sich ihrem Neffen Konrad vor und erfuhr von ihm nähere Einzelheiten über den Ritt nach Aachen und die Brautschau des Kaisers. Die Weiterreise war für den übernächsten Tag geplant, da man den Zug mit den beiden Töchtern des Grafen von Tours in Prüm abwarten wollte. Gerswind teilte Konrad mit, dass Judith bei ihr nächtigen werde, und lud ihn nach kurzer Überlegung ein, sie gleichfalls zu besuchen. Sie war sicher, dass er von diesem Angebot keinen Gebrauch machen würde. Ihr war nicht entgangen, dass er eine ebenso herzliche Abneigung zu ihr gefasst hatte wie sie ihm gegenüber. Er hatte einen verschlagenen Blick, spielte sich den Mitreisenden und dem gastfreundlichen Abt gegenüber auf und schien von der Aufgabe, Judith an irgendeinen würdigen Edlen zu verschachern, sehr angetan zu sein. Offensichtlich ging er nicht davon aus, dass Ludwig Judith erwählen würde. Seine anzügliche Bemerkung, Gerswinds frühere Aufgaben am Kaiserhof ließen ihren Zögling, seine Schwester, als künftige Kaiserin gänzlich ungeeignet erscheinen, hätte sie ihm gern um die Ohren geschlagen, aber sie wollte den guten Abt nicht in Verlegenheit bringen.
    Die sternenklare Nacht war bereits angebrochen, als Gerswind die Abtei verließ. Obwohl sie es kaum erwarten konnte, zu Judith zurückzukehren, schritt sie nur langsam aus. Es gab so viel zu überdenken. Als sie am Gottesacker vorbeikam, hielt sie inne. An jener Ecke nahe der Kirche, wo die verstorbenen Mönche des Klosters zur letzten Ruhe gebettet waren, sah sie die Holzkreuze fast gänzlich von Schnee bedeckt. Sie stapfte hinüber und begann mit bloßen Händen eines der Kreuze freizuschaufeln. Währenddessen sprach sie laut: »Habe ich dir je von meiner letzten Begegnung mit deinem Bruder Ludwig erzählt, Pippin? Wie er mich mit seinem Schwert töten wollte und dann mit einem Mal in Tränen ausbrach? Da tat er mir plötzlich leid! Der Mann, der so viele Menschen auf dem Gewissen hat, wie vermutlich auch dich, rührte mich! Der Mann, der mich bei der Jagd geschändet hat! Der mich unentwegt gedemütigt hat! Nie habe ich einen Menschen mehr gehasst. Und doch war ich nahe daran, ihm aus lauter Mitleid alles zu vergeben, so wie es dein christlicher Gott empfiehlt, stell dir vor, mein guter alter Freund!« Ihre Hände brannten wie Feuer, dennoch schob sie jetzt auch noch Schnee von der Grabstelle. »Aber nur nahe dran. Denn der Gedanke an Rache, Pippin, der war viel stärker als die Liebe zu meinem Feind. Mein ist die Rache, spricht der Herr. Doch er hat Ludwig nicht gerichtet, sondern zum Kaiser befördert. Der Tod seiner Gemahlin sei Strafe genug gewesen, meinst du? Er hat dieses Weib nie geliebt, nur benutzt wie alle Menschen, die er für seine Zwecke einspannen konnte. Jetzt ist sie weg, und er greift sich die Nächste. Aber nicht unsere Judith!«
    Sie hielt inne, rieb sich heftig die schmerzenden Hände, steckte sie unter ihren Mantel, um sie zu wärmen, und drückte sie an die Brust. Dabei spürte sie den Diamantring, den sie schon seit so vielen Jahren um den Hals hängen hatte. Und da schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Ja, dachte sie, ja. Jetzt weiß ich es. Jetzt weiß ich, wie ich Ludwig seine bösen Taten heimzahlen kann! Mit einem Mal stand ihr die vollkommene Rache klar vor Augen.
    Gerswind verabschiedete sich von ihrem Freund Pippin, Kaiser Karls erstgeborenem Sohn, den man zu Lebzeiten den Buckligen genannt und um sein Erbe betrogen hatte. Der ihr das Leben gerettet und als Mönch im Kloster Prüm gestorben war. Jetzt hatte sie es sehr eilig, zu Judith zurückzukehren und ihren Plan auszuführen. Skrupel, sich des geliebten Mädchens als Werkzeug zu bedienen, hatte sie keine, denn sie war überzeugt, dass Judith gerade durch diese wundersame Form der Vergeltung selbst am meisten Beistand bekäme. Sie wäre ihr ganzes Leben lang

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