Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
natürlichen und kindlichen Realismus befangen geblieben, in welchem wir Alle geboren sind und der zu allem Möglichen, nur nicht zur Philosophie befähigt. Folglich verhält ein Solcher sich zu jenem Ersteren wie ein Unmündiger zum Mündigen. Daß diese Wahrheit heut zu Tage paradox klingt, welches in den ersten dreißig Jahren nach dem Erscheinen der Vernunftkritik keineswegs der Fall gewesen wäre, kommt daher, daß seitdem ein Geschlecht herangewachsen ist, welches Kanten eigentlich nicht kennt, da hiezu mehr, als eine flüchtige, ungeduldige Lektüre, oder ein Bericht aus zweiter Hand gehört, und Dieses wieder daher, daß dasselbe, in Folge schlechter Anleitung, seine Zeit mit den Philosophemen gewöhnlicher, also unberufener Köpfe, oder gar windbeutelnder Sophisten, die man ihm unverantwortlicherweise anpries, vergeudet hat. Daher die Verworrenheit in den ersten Begriffen und überhaupt das unsäglich Rohe und Plumpe, welches aus der Hülle der Pretiosität und Prätensiosität, in den eigenen philosophischen Versuchen des so erzogenen Geschlechts, hervorsieht. Aber in einem heillosen Irrthum ist Der befangen, welcher vermeint, er könne Kants Philosophie aus den Darstellungen Anderer davon kennen lernen. Vielmehr muß ich vor dergleichen Relationen, zumal aus neuerer Zeit, ernstlich warnen: und gar in diesen allerletzten Jahren sind mir in Schriften der Hegelianer Darstellungen der Kantischen Philosophie vorgekommen, die wirklich ins Fabelhafte gehn. Wie sollten auch die schon in frischer Jugend durch den Unsinn der Hegelei verrenkten und verdorbenen Köpfe noch fähig seyn, Kants tiefsinnigen Untersuchungen zu folgen? Sie sind früh gewöhnt, den hohlsten Wortkram für philosophische Gedanken, die armsäligsten Sophismen für Scharfsinn, und läppischen Aberwitz für Dialektik zu halten, und durch das Aufnehmen rasender Wortzusammenstellungen, bei denen etwas zu denken der Geist sich vergeblich martert und erschöpft, sind ihre Köpfe desorganisirt. Für sie gehört keine Kritik der Vernunft, für sie keine Philosophie: für sie gehört eine medicina mentis , zunächst als Kathartikon etwan un petit cours de senscommunologie , und dann muß man weiter sehn, ob bei ihnen noch jemals von Philosophie die Rede seyn kann. – Die Kantische Lehre also wird man vergeblich irgend wo anders suchen, als in Kants eigenen Werken: diese aber sind durchweg belehrend, selbst da wo er irrt, selbst da wo er fehlt. In Folge seiner Originalität gilt von ihm im höchsten Grade was eigentlich von allen ächten Philosophen gilt: nur aus ihren eigenen Schriften lernt man sie kennen; nicht aus den Berichten Anderer. Denn die Gedanken jener außerordentlichen Geister können die Filtration durch den gewöhnlichen Kopf hindurch nicht vertragen. Geboren hinter den breiten, hohen, schön gewölbten Stirnen, unter welchen strahlende Augen hervorleuchten, kommen sie, wenn versetzt in die enge Behausung und niedrige Bedachung der engen, gedrückten, dickwändigen Schädel, aus welchen stumpfe, auf persönliche Zwecke gerichtete Blicke hervorspähen, um alle Kraft und alles Leben, und sehn sich selber nicht mehr ähnlich. Ja, man kann sagen, diese Art Köpfe wirken wie unebene Spiegel, in denen Alles sich verrenkt, verzerrt, das Ebenmaaß seiner Schönheit verliert und eine Fratze darstellt. Nur von ihren Urhebern selbst kann man die philosophischen Gedanken empfangen: daher hat wer sich zur Philosophie getrieben fühlt, die unsterblichen Lehrer derselben im stillen Heiligthum ihrer Werke selbst aufzusuchen. Die Hauptkapitel eines jeden dieser ächten Philosophen werden in ihre Lehren hundert Mal mehr Einsicht verschaffen, als die schleppenden und schielenden Relationen darüber, welche Alltagsköpfe zu Stande bringen, die noch zudem meistens tief befangen sind in der jedesmaligen Modephilosophie, oder ihrer eigenen Herzensmeinung. Aber es ist zum Erstaunen, wie entschieden das Publikum vorzugsweise nach jenen Darstellungen aus zweiter Hand greift. Hiebei scheint in der That die Wahlverwandtschaft zu wirken, vermöge welcher die gemeine Natur zu ihres Gleichen gezogen wird und demnach sogar was ein großer Geist gesagt hat lieber von ihres Gleichen vernehmen will. Vielleicht beruht Dies auf dem selben Princip mit dem System des wechselseitigen Unterrichts, nach welchem Kinder am besten von ihres Gleichen lernen.
Jetzt noch ein Wort für die Philosophieprofessoren. – Die Sagacität, den richtigen und feinen Takt, womit sie meine
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