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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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es die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Sache hinlenkt und diesem das Lesen meiner Schriften den Geschmack an den Lukubrationen der Philosophieprofessoren verderben könnte. Denn wer den Ernst gekostet hat, dem wird der Spaaß, zumal von der langweiligen Art, nicht mehr munden. Demnach also ist das so einmüthig ergriffene schweigende System das allein richtige, und kann ich nur rathen, dabei zu bleiben und damit fortzufahren, so lange es geht, so lange nämlich bis einst aus dem Ignoriren die Ignoranz abgeleitet wird: dann wird es zum Einlenken gerade noch Zeit seyn. Unterweilen bleibt ja doch Jedem unbenommen, sich hier und da ein Federchen zu eigenem Gebrauch auszurupfen; da zu Hause der Ueberfluß an Gedanken nicht sehr drückend zu seyn pflegt. So kann denn das Ignorir- und Schweigesystem noch eine gute Weile vorhalten, wenigstens die Spanne Zeit, die ich noch zu leben haben mag; womit schon viel gewonnen ist. Wenn auch dazwischen hie und da eine indiskrete Stimme sich hat vernehmen lassen, so wird sie doch bald übertäubt vom lauten Vortrag der Professoren, welche das Publikum von ganz andern Dingen, mit wichtiger Miene, zu unterhalten wissen. Ich rathe jedoch, auf die Einmüthigkeit des Verfahrens etwas strenger zu halten und besonders die jungen Leute zu überwachen, als welche bisweilen schrecklich indiskret sind. Denn selbst so kann ich doch nicht verbürgen, daß das belobte Verfahren für immer vorhalten wird, und kann für den endlichen Ausgang nicht einstehn. Es ist nämlich eine eigene Sache um die Lenkung des im Ganzen guten und folgsamen Publikums. Wenn wir auch so ziemlich zu allen Zeiten die Gorgiasse und Hippiasse oben auf sehn, das Absurde in der Regel kulminirt und es unmöglich scheint, daß durch den Chorus der Bethörer und Bethörten die Stimme des Einzelnen je durchdränge; – so bleibt dennoch jederzeit den ächten Werken eine ganz eigenthümliche, stille, langsame, mächtige Wirkung, und wie durch ein Wunder sieht man sie endlich aus dem Getümmel sich erheben, gleich einem Aerostaten, der aus dem dicken Dunstkreise dieses Erdenraums in reinere Regionen emporschwebt, wo er, ein Mal angekommen, stehn bleibt, und Keiner mehr ihn herabzuziehn vermag.
    Geschrieben in Frankfurt a. M. im Februar 1844.

Vorrede zur dritten Auflage.
    Das Wahre und Aechte würde leichter in der Welt Raum gewinnen, wenn nicht Die, welche unfähig sind, es hervorzubringen, zugleich verschworen wären, es nicht aufkommen zu lassen. Dieser Umstand hat schon Manches, das der Welt zu Gute kommen sollte, gehemmt und verzögert, wo nicht gar erstickt. Für mich ist seine Folge gewesen, daß, obwohl ich erst dreißig Jahre zählte, als die erste Auflage dieses Werkes erschien, ich diese dritte nicht früher, als im zweiundsiebenzigsten erlebe. Darüber jedoch finde ich Trost in Petrarka's Worten: si quis, toto die currens, pervenit ad vesperam, satis est de vera sapientia (p. 140) . Bin ich zuletzt doch auch angelangt und habe die Befriedigung, am Ende meiner Laufbahn den Anfang meiner Wirksamkeit zu sehn, unter der Hoffnung, daß sie, einer alten Regel gemäß, in dem Verhältniß lange dauern wird, als sie spät angefangen hat. –
    Der Leser wird in dieser dritten Auflage nichts von Dem vermissen, was die zweite enthält, wohl aber beträchtlich mehr erhalten, indem sie, vermöge der ihr gegebenen Zusätze, bei gleichem Druck, 136 Seiten mehr hat, als die zweite.
    Sieben Jahre nach dem Erscheinen der zweiten Auflage habe ich zwei Bände »Parerga und Paralipomena« herausgegeben. Das unter letzterem Namen Begriffene besteht in Zusätzen zur systematischen Darstellung meiner Philosophie und würde seine richtige Stelle in diesen Bänden gefunden haben: allein ich mußte es damals unterbringen wo ich konnte, da es sehr zweifelhaft war, ob ich diese dritte Auflage erleben würde. Man findet es im zweiten Bande besagter Parerga und wird es an den Ueberschriften der Kapitel leicht erkennen.
    Frankfurt a. M. im September 1859.

Erstes Buch. Der Welt als Vorstellung erste Betrachtung:

Die Vorstellung unterworfen dem Satze vom Grunde: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft.

    Sors de l'enfance, ami, réveille-toi!
    Jean-Jacques Rousseau

    § 1
    »Die Welt ist meine Vorstellung:« – dies ist die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; wiewohl der Mensch allein sie in das reflektirte abstrakte Bewußtseyn bringen kann: und thut er dies wirklich; so ist die philosophische Besonnenheit

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