Kinsey Millhone 02- In aller Stille
Prolog
Wenn alles gelaufen ist, möchte man sich natürlich ohrfeigen für all das, was man nicht rechtzeitig gesehen hat. Vielleicht die Hätte-ich-das-geahnt-Schule der Privatdetektive. Mein Name ist Kinsey Millhone, und die meisten meiner Berichte beginnen auf die gleiche Weise. Ich fange an, indem ich erkläre, wer ich bin und was ich mache, als ob ich durch das Aufzählen der immer gleichen, wenigen grundlegenden Fakten all das begreifen könnte, was danach kommt.
Ein paar Stichworte zu meiner Person. Ich bin weiblich, zweiunddreißig Jahre alt, alleinstehend, selbständig. Mit zwanzig ging ich zur Polizeiakademie und machte am Santa Teresa Police Department meine Abschlußprüfung. Heute kann ich mich nicht einmal daran erinnern, wie ich mir den Job eigentlich vorgestellt hatte, bevor ich damit anfing. Ich muß vage idealistische Ahnungen von Recht und Ordnung gehabt haben — die Guten gegen die Schlechten. Und meine Rolle dabei sollte sein, hin und wieder vor Gericht zu erscheinen, wo man mich um eine Aussage bitten würde, was wozu gehörte. Meiner Ansicht nach sollten die Schlechten alle in den Knast wandern, damit wir Verbleibende sicher weiterleben konnten. Nach einer Weile war mir klar geworden, wie naiv ich war. Ich war frustriert von den Einschränkungen und frustriert, weil man weibliche Polizisten damals mit einer Mischung aus Neugier und Spott betrachtete. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, mich gegen »harmlose« Beleidigungen zu wehren oder immer wieder beweisen zu müssen, wie hart ich war. Ich verdiente nicht genug, um mich mit all diesem Kram herumzuschlagen, also stieg ich aus.
Zwei Jahre lang probierte ich ein ganzes Sortiment von Berufen aus, aber keiner hatte dieselbe Anziehungskraft. Was immer man an der Polizeiarbeit auszusetzen hat, sie bringt jedenfalls diesen fiebrig-kranken Nervenkitzel eines Lebens auf Messers Schneide mit sich. Ich war süchtig nach dem Adrenalinstoß, und ich konnte nicht mehr zurück zum Alltäglichen.
Schließlich kam ich zu einer kleinen Privatdetektivfirma, bei der ich zwei Jahre verbrachte, um das Geschäft zu lernen. Danach eröffnete ich mein eigenes Büro, ordnungsgemäß eingetragen und zugelassen. Ich habe es nun seit fünf Jahren, und es sichert mir einen bescheidenen Unterhalt. Heute bin ich klüger als früher und habe mehr Erfahrung, aber Tatsache bleibt, daß ich nie weiß, was als Nächstes geschehen wird, wenn sich wieder mal ein Klient mir gegenüber in den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches setzt.
1
An jenem Morgen war ich gerade seit zwanzig Minuten im Büro gewesen. Ich hatte die Glastüren geöffnet, die zu dem im zweiten Stock gelegenen Balkon führten, um etwas frische Luft hereinzulassen, und ich hatte die Kaffeemaschine angestellt. Es war Juni in Santa Teresa: Das bedeutete kühlen Morgennebel und dunstige Nachmittage. Es war noch keine neun Uhr. Ich sortierte gerade die Post des vergangenen Tages, als ich ein Klopfen an der Tür hörte und eine Frau hereinrauschen sah.
»Oh, gut. Sie sind da«, begann sie. »Sie müssen Kinsey Millhone sein. Ich bin Beverly Danziger.«
Wir gaben uns die Hände, und sie setzte sich gleich und wühlte in ihrer Tasche. Sie fand eine Packung Filterzigaretten und klopfte sich eine heraus.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich rauche«, sagte sie und zündete die Zigarette an, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie inhalierte und löschte dann das Streichholz mit einem Mundvoll Rauch, während sie vergeblich nach einem Aschenbecher suchte. Ich nahm einen von meinem Aktenschrank, wischte den Staub ab und reichte ihn ihr hinüber, wobei ich ihr gleichzeitig einen Kaffee anbot.
»Ja, gern, warum nicht?« meinte sie mit einem Lachen. »Ich bin heute morgen sowieso schon nervös, also kommt es darauf auch nicht mehr an. Ich bin gerade aus Los Angeles hier hochgefahren, mitten durch den Berufsverkehr. Puh!«
Während ich ihr einen Becher Kaffee eingoß, taxierte ich sie schnell. Nach meiner Schätzung war sie Ende Dreißig; klein, energisch, gepflegt. Ihre Haare waren glänzend schwarz und ziemlich glatt. Der Schnitt war gerade und perfekt gelegt, so daß er ihr schmales Gesicht wie eine Badekappe einrahmte. Sie hatte hellblaue Augen, schwarze Wimpern und einen klaren Teint mit nur einem Hauch von Rouge auf jedem Wangenknochen. Sie trug einen blaßblauen Baumwollpullover mit rundem Halsausschnitt und einen blaßblauen Popelinrock. Die Tasche, die sie bei sich
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