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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Faden der Erscheinungen in der Zeit verfolgen, sondern als Philosophen die ethische Bedeutung der Handlungen zu erforschen suchen und diese hier zum alleinigen Maaßstabe für das uns Bedeutsame und Wichtige nehmen, wird doch wohl keine Scheu vor der stets bleibenden Stimmenmehrheit der Gemeinheit und Plattheit abhalten, zu bekennen, daß die größte, wichtigste und bedeutsamste Erscheinung, welche die Welt aufzeigen kann, nicht der Welteroberer ist, sondern der Weltüberwinder, also in der That nichts Anderes, als der stille und unbemerkte Lebenswandel eines solchen Menschen, dem diejenige Erkenntniß aufgegangen ist, in Folge welcher er jenen Alles erfüllenden und in Allem treibenden und strebenden Willen zum Leben aufgiebt und verneint, dessen Freiheit erst hier, in ihm allein, hervortritt, wodurch nunmehr sein Thun das gerade Gegentheil des gewöhnlichen wird. Für den Philosophen sind also in dieser Hinsicht jene Lebensbeschreibungen heiliger, sich selbst verleugnender Menschen, so schlecht sie auch meistens geschrieben, ja mit Aberglauben und Unsinn vermischt vorgetragen sind, doch, durch die Bedeutsamkeit des Stoffes, ungleich belehrender und wichtiger, als selbst Plutarchos und Livius.
    Zur nähern und vollständigen Kenntniß Dessen, was wir, in der Abstraktion und Allgemeinheit unserer Darstellungsweise als Verneinung des Willens zum Leben ausdrücken, wird ferner sehr viel beitragen die Betrachtung der in diesem Sinn und von Menschen, die dieses Geistes voll waren, gegebenen ethischen Vorschriften, und diese werden zugleich zeigen, wie alt unsere Ansicht ist, so neu auch der rein philosophische Ausdruck derselben seyn mag. Das uns zunächst Liegende ist das Christenthum, dessen Ethik ganz in dem angegebenen Geiste ist und nicht nur zu den höchsten Graden der Menschenliebe, sondern auch zur Entsagung führt; welche letztere Seite zwar schon in den Schriften der Apostel als Keim sehr deutlich vorhanden ist, jedoch erst später sich völlig entwickelt und explicite ausgesprochen wird. Wir finden von den Aposteln vorgeschrieben: Liebe zum Nächsten, der Selbstliebe gleichwiegend, Wohlthätigkeit, Vergeltung des Hasses mit Liebe und Wohlthun, Geduld, Sanftmuth, Ertragung aller möglichen Beleidigungen ohne Widerstand, Enthaltsamkeit in der Nahrung zur Unterdrückung der Lust, Widerstand dem Geschlechtstriebe, wenn man es vermag, gänzlich. Wir sehn hier schon die ersten Stufen der Askesis, oder eigentlichen Verneinung des Willens, welcher letztere Ausdruck eben Das besagt, was in den Evangelien das Verleugnen seiner selbst und Aufsichnehmen des Kreuzes genannt wird. (Math. 16, 24. 25; Mark. 8, 34. 35; Luk. 9, 23. 24; 14, 26. 27. 33.) Diese Richtung entwickelte sich bald mehr und mehr und gab den Büßenden, den Anachoreten und dem Mönchthum den Ursprung, welcher an sich rein und heilig war, aber eben darum dem größten Theil der Menschen ganz unangemessen, daher das sich daraus Entwickelnde nur Heuchelei und Abscheulichkeit seyn konnte: denn abusus optimi pessimus . Bei weiter gebildetem Christenthum sehn wir nun jenen asketischen Keim sich zur vollen Blüthe entfalten, in den Schriften der Christlichen Heiligen und Mystiker. Diese predigen neben der reinsten Liebe auch völlige Resignation, freiwillige gänzliche Armuth, wahre Gelassenheit, vollkommene Gleichgültigkeit gegen alle weltliche Dinge, Absterben dem eigenen Willen und Wiedergeburt in Gott, gänzliches Vergessen der eigenen Person und Versenken in die Anschauung Gottes. Eine vollständige Darstellung davon findet man in des Fénélon »Explication des maximes des Saints sur la vie intérieure«. Aber wohl nirgends ist der Geist des Christenthums in dieser seiner Entwickelung so vollkommen und kräftig ausgesprochen, wie in den Schriften der Deutschen Mystiker, also des Meister Eckhard und in dem mit Recht berühmten Buche »Die deutsche Theologie«, von welchem Luther, in der dazu geschriebenen Vorrede, sagt, daß er aus keinem Buche, die Bibel und den Augustin ausgenommen, mehr gelernt, was Gott, Christus und der Mensch sei, als eben aus diesem, – dessen ächten und unverfälschten Text wir jedoch erst im Jahre 1851 in der Stuttgarter Ausgabe von Pfeiffer erhalten haben. Die darin gegebenen Vorschriften und Lehren sind die vollständigste, aus tief Innerster Ueberzeugung entsprungene Auseinandersetzung Dessen, was ich als die Verneinung des Willens zum Leben dargestellt habe. Dort also hat man es näher kennen zu lernen, ehe man mit

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