Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
bestimmt wird. Diese Motive sind Vorstellungen, welche auf Anlaß äußerer Reize der Sinnesorgane, mittelst der Funktionen des Gehirns entstehn und auch zu Begriffen, dann zu Beschlüssen verarbeitet werden. Wann es zum wirklichen Willensakt kommt, wirken diese Motive, deren Werkstätte das große Gehirn ist, unter Vermittelung des kleinen Gehirns, auf das Rückenmark und die von diesem ausgehenden motorischen Nerven, welche dann auf die Muskeln wirken, jedoch bloß als Reize der Irritabilität derselben; da auch galvanische, chemische und selbst mechanische Reize die selbe Kontraktion, die der motorische Nerv hervorruft, bewirken können. Also was im Gehirn Motiv war, wirkt, wenn es durch die Nervenleitung zum Muskel gelangt, als bloßer Reiz . Die Sensibilität an sich ist völlig unvermögend einen Muskel zu kontrahiren: dies kann nur dieser selbst, und seine Fähigkeit hiezu heißt Irritabilität , d.h. Reizbarkeit : sie ist ausschließlich Eigenschaft des Muskels; wie Sensibilität ausschließliche Eigenschaft des Nerven ist. Dieser giebt zwar dem Muskel den Anlaß zu seiner Kontraktion; aber keineswegs ist er es, welcher, irgendwie mechanisch, den Muskel zusammenzöge: sondern dies geschieht ganz allein vermöge der Irritabilität , welche des Muskels selbst-eigene Kraft ist. Diese ist, von außen aufgefaßt, eine Qualitas occulta ; und nur das Selbstbewußtseyn revelirt sie als den Willen . In der hier kurz dargelegten Kausalkette, von der Einwirkung des außen liegenden Motivs bis zur Kontraktion des Muskels, tritt nicht etwan der Wille als letztes Glied derselben mit ein; sondern er ist das metaphysische Substrat der Irritabilität des Muskels: er spielt also hier genau die selbe Rolle, welche, in einer physikalischen oder chemischen Kausalkette, die dabei dem Vorgange zum Grunde liegenden geheimnißvollen Naturkräfte spielen, welche als solche nicht selbst als Glieder in der Kausalkette begriffen sind, sondern allen Gliedern derselben die Fähigkeit zu wirken verleihen; wie ich dies in § 26 des ersten Bandes ausführlich dargelegt habe. Daher würden wir eine dergleichen geheimnißvolle Naturkraft eben auch der Kontraktion des Muskels unterlegen; wenn diese uns nicht durch eine ganz anderweitige Erkenntnißquelle, das Selbstbewußtseyn, aufgeschlossen wäre, als Wille . Dieserhalb erscheint, wie oben gesagt, unsere eigene Muskelbewegung, wenn wir vom Willen ausgehn, uns als ein Wunder; weil zwar von dem außen liegenden Motiv bis zur Muskelaktion eine strenge Kausalkette fortgeht, der Wille selbst aber nicht als Glied in ihr begriffen ist, sondern als das metaphysische Substrat der Möglichkeit einer Aktuirung des Muskels durch Gehirn und Nerv, auch der gegenwärtigen Muskelaktion zum Grunde liegt; daher diese eigentlich nicht seine Wirkung , sondern seine Erscheinung ist. Als solche tritt sie ein in der, vom Willen an sich selbst ganz verschiedenen, Welt der Vorstellung, deren Form das Kausalitätsgesetz ist; wodurch sie, wenn man vom Willen ausgeht, für die aufmerksame Reflexion, das Ansehn eines Wunders erhält, für die tiefere Forschung aber die unmittelbarste Beglaubigung der großen Wahrheit liefert, daß was in der Erscheinung als Körper und ihr Wirken auftritt, an sich Wille ist. – Wenn nun etwan der motorische Nerv, der zu meiner Hand leitet, durchschnitten ist; so kann mein Wille sie nicht mehr bewegen. Dies liegt aber nicht daran, daß die Hand aufgehört hätte, wie jeder Theil meines Leibes, die Objektität, die bloße Sichtbarkeit, meines Willens zu seyn, oder mit andern Worten, daß die Irritabilität verschwunden wäre; sondern daran, daß die Einwirkung des Motivs, in Folge deren allein ich meine Hand bewegen kann, nicht zu ihr gelangen und als Reiz auf ihre Muskeln wirken kann, da die Leitung vom Gehirn zu ihr unterbrochen ist. Also ist eigentlich mein Wille, in diesem Theil, nur der Einwirkung des Motivs entzogen. In der Irritabilität objektivirt sich der Wille unmittelbar, nicht in der Sensibilität.
Um über diesen wichtigen Punkt allen Mißverständnissen, besonders solchen, die von der rein empirisch betriebenen Physiologie ausgehn, vorzubeugen, will ich den ganzen Hergang etwas gründlicher auseinandersetzen. – Meine Lehre besagt, daß der ganze Leib der Wille selbst ist, sich darstellend in der Anschauung des Gehirns, folglich eingegangen in dessen Erkenntnißformen. Hieraus folgt, daß der Wille im ganzen Leibe überall gleichmäßig gegenwärtig sei; wie dies auch
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