Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Bewußtsein, desto größer ist für ihn die Nothwendigkeit des Schlafes, also desto tiefer und länger schläft er. Vieles Denken, oder angestrengte Kopfarbeit wird demnach das Bedürfniß des Schlafes vermehren. Daß auch fortgesetzte Muskelanstrengung schläfrig macht, ist daraus zu erklären, daß bei dieser das Gehirn fortdauernd, mittelst der medulla oblongata , des Rückenmarks und der motorischen Nerven, den Muskeln den Reiz ertheilt, der auf ihre Irritabilität wirkt, dasselbe also dadurch seine Kraft erschöpft: die Ermüdung, welche wir in Armen und Beinen spüren, hat demnach ihren eigentlichen Sitz im Gehirn; eben wie der Schmerz, den eben diese Theile fühlen, eigentlich im Gehirn empfunden wird: denn es verhält sich mit den motorischen, wie mit den sensibeln Nerven. Die Muskeln, welche nicht vom Gehirn aktuirt werden, z.B. die des Herzens, ermüden eben deshalb nicht. Aus dem selben Grunde ist es erklärlich, daß man sowohl während, als nach großer Muskelanstrengung nicht scharf denken kann. Daß man im Sommer viel weniger Energie des Geistes hat, als im Winter, ist zum Theil daraus erklärlich, daß man im Sommer weniger schläft: denn je tiefer man geschlafen hat, desto vollkommener wach, desto »aufgeweckter« ist man nachher. Dies darf uns jedoch nicht verleiten, den Schlaf über die Gebühr zu verlängern; weil er alsdann an Intension, d.h. Tiefe und Festigkeit, verliert, was er an Extension gewinnt; wodurch er zum bloßen Zeitverlust wird. Dies meint auch Goethe, wenn er (im zweiten Theil des »Faust«) vom Morgenschlummer sagt: »Schlaf ist Schaale: wirf sie fort.« – Ueberhaupt also bestätigt das Phänomen des Schlafes ganz vorzüglich, daß Bewußtseyn, Wahrnehmen, Erkennen, Denken, nichts Ursprüngliches in uns ist, sondern ein bedingter, sekundärer Zustand. Es ist ein Aufwand der Natur, und zwar ihr höchster, den sie daher, je höher er getrieben worden, desto weniger ohne Unterbrechung fortführen kann. Es ist das Produkt, die Efflorescenz des cerebralen Nervensystems, welches selbst, wie ein Parasit, vom übrigen Organismus genährt wird. Dies hängt auch mit Dem zusammen, was in unserm dritten Buche gezeigt wird, daß das Erkennen um so reiner und vollkommener ist, je mehr es sich vom Wollen losgemacht und gesondert hat, wodurch die rein objektive, die ästhetische Auffassung eintritt; eben wie ein Extrakt um so reiner ist, je mehr er sich von Dem, woraus er abgezogen worden, gesondert und von allem Bodensatz geläutert hat. – Den Gegensatz zeigt der Wille , dessen unmittelbarste Aeußerung das ganze organische Leben und zunächst das unermüdliche Herz ist.
Diese letzte Betrachtung ist schon dem Thema des folgenden Kapitels verwandt, zu dem sie daher den Uebergang macht: ihr gehört jedoch noch folgende Bemerkung an. Im magnetischen Somnambulismus verdoppelt sich das Bewußtseyn: zwei, jede in sich selbst zusammenhängende, von einander aber völlig geschiedene Erkenntnißreihen entstehn; das wachende Bewußtseyn weiß nichts vom somnambulen. Aber der Wille behält in beiden den selben Charakter und bleibt durchaus identisch: er äußert in beiden die selben Neigungen und Abneigungen. Denn die Funktion läßt sich verdoppeln, nicht das Wesen an sich.
Kapitel 20.Objektivation des Willens im thierischen Organismus
Ich verstehe unter Objektivation das Sichdarstellen in der realen Körperwelt. Inzwischen ist diese selbst, wie im ersten Buch und dessen Ergänzungen ausführlich dargethan, durchaus bedingt durch das erkennende Subjekt, also den Intellekt, mithin außerhalb seiner Erkenntniß schlechterdings als solche undenkbar: denn sie ist zunächst nur anschauliche Vorstellung und als solche Gehirnphänomen. Nach ihrer Aufhebung würde das Ding an sich übrig bleiben. Daß dieses der Wille sei, ist das Thema des zweiten Buchs, und wird daselbst zuvörderst am menschlichen und thierischen Organismus nachgewiesen.
Die Erkenntniß der Außenwelt kann auch bezeichnet werden als das Bewußtsein anderer Dinge, im Gegensatz des Selbstbewußtseyns . Nachdem wir nun in diesem letztern den Willen als das eigentliche Objekt oder den Stoff desselben gefunden haben, werden wir jetzt, in der selben Absicht, das Bewußtseyn von andern Dingen, also die objektive Erkenntniß, in Betracht nehmen. Hier ist nun meine Thesis diese: was im Selbstbewußtsein, also subjektiv, der Intellekt ist, das stellt im Bewußtseyn anderer Dinge, also objektiv, sich als das Gehirn dar: und was im
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