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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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wie der Kosinus abnimmt, indem der Sinus wächst, wie der Kosinus des einen Winkels der Sinus des andern ist, das umgekehrte Verhältniß der Ab- und Zunahme beider Winkel u.s.w., welches Ungeheuern Gewebes von Zahlen, welcher mühsäligen Rechnung bedurfte es nicht, um dieses in abstracto auszudrücken: wie muß nicht, kann man sagen, die Zeit mit ihrer einen Dimension sich quälen, um die drei Dimensionen des Raumes wiederzugeben! Aber dies war nothwendig, wenn wir, zum Behuf der Anwendung, die Verhältnisse des Raumes in abstrakte Begriffe niedergelegt besitzen wollten: unmittelbar konnten jene nicht in diese eingehn, sondern nur durch Vermittelung der rein zeitlichen Größe, der Zahl, als welche allein der abstrakten Erkenntniß sich unmittelbar anfügt. Noch ist bemerkenswerth, daß, wie der Raum sich so sehr für die Anschauung eignet und, mittelst seiner drei Dimensionen, selbst komplicirte Verhältnisse leicht übersehn läßt, dagegen der abstrakten Erkenntniß sich entzieht; umgekehrt die Zeit zwar leicht in die abstrakten Begriffe eingeht, dagegen aber der Anschauung sehr wenig giebt: unsere Anschauung der Zahlen in ihrem eigenthümlichen Element, der bloßen Zeit, ohne Hinzuziehung des Raumes, geht kaum bis Zehn; darüber hinaus haben wir nur noch abstrakte Begriffe, nicht mehr anschauliche Erkenntniß der Zahlen: hingegen verbinden wir mit jedem Zahlwort und allen algebraischen Zeichen genau bestimmte abstrakte Begriffe.
    Nebenbei ist hier zu bemerken, daß manche Geister nur im anschaulich Erkannten völlige Befriedigung finden. Grund und Folge des Seyns im Raum anschaulich dargelegt, ist es, was sie suchen: ein Eukleidischer Beweis, oder eine arithmetische Auflösung räumlicher Probleme, spricht sie nicht an. Andere Geister hingegen verlangen die zur Anwendung und Mittheilung allein brauchbaren abstrakten Begriffe: sie haben Geduld und Gedächtniß für abstrakte Sätze, Formeln, Beweisführungen in langen Schlußketten, und Rechnungen, deren Zeichen die komplicirtesten Abstraktionen vertreten. Diese suchen Bestimmtheit: jene Anschaulichkeit. Der Unterschied ist charakteristisch.
    Das Wissen, die abstrakte Erkenntniß, hat ihren größten Werth in der Mittheilbarkeit und in der Möglichkeit, fixirt aufbehalten zu werden: erst hiedurch wird sie für das Praktische so unschätzbar wichtig. Einer kann vom kausalen Zusammenhange der Veränderungen und Bewegungen natürlicher Körper eine unmittelbare, anschauliche Erkenntniß im bloßen Verstande haben und in derselben völlige Befriedigung finden; aber zur Mittheilung wird sie erst geschickt, nachdem er sie in Begriffen fixirt hat. Selbst für das Praktische ist eine Erkenntniß der ersten Art hinreichend, sobald er auch die Ausführung ganz allein übernimmt, und zwar in einer, während noch die anschauliche Erkenntniß lebendig ist, ausführbaren Handlung; nicht aber, wenn er fremder Hülfe, oder auch nur eines zu verschiedenen Zeiten eintretenden eigenen Handelns und daher eines überlegten Planes bedarf. So kann z.B. ein geübter Billiardspieler eine vollständige Kenntniß der Gesetze des Stoßes elastischer Körper auf einander haben, bloß im Verstande, bloß für die unmittelbare Anschauung, und er reicht damit vollkommen aus: hingegen hat nur der wissenschaftliche Mechaniker ein eigentliches Wissen jener Gesetze, d.h. eine Erkenntniß in abstracto davon. Selbst zur Konstruktion von Maschinen reicht jene bloß intuitive Verstandeserkenntniß hin, wenn der Erfinder der Maschine sie auch allein ausführt, wie man oft an talentvollen Handwerkern ohne alle Wissenschaft sieht: hingegen sobald mehrere Menschen und eine zusammengesetzte, zu verschiedenen Zeitpunkten eintretende Thätigkeit derselben zur Ausführung einer mechanischen Operation, einer Maschine, eines Baues nöthig sind, muß der, welcher sie leitet, den Plan in abstracto entworfen haben, und nur durch Beihülfe der Vernunft ist eine solche zusammenwirkende Thätigkeit möglich. Merkwürdig ist es aber, daß bei jener ersten Art von Thätigkeit, wo Einer allein, in einer ununterbrochenen Handlung etwas ausführen soll, das Wissen, die Anwendung der Vernunft, die Reflexion ihm sogar oft hinderlich seyn kann, z.B. eben beim Billiardspielen, beim Fechten, beim Stimmen eines Instruments, beim Singen: hier muß die anschauliche Erkenntniß die Thätigkeit unmittelbar leiten: das Durchgehn durch die Reflexion macht sie unsicher, indem es die Aufmerksamkeit theilt und den Menschen verwirrt.

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