Die Delta-Anomalie - Starfleet Academy ; 1
Kapitel 1
Getrübte Sicht
Im Sommer 2255 wirkte der Nebel in San Francisco wie ein lebendiges Wesen. Vom Wind an Land getrieben, kroch er wie ein riesiges, weißes Meeresungeheuer über die berühmten Hügel der Stadt. In den meisten Julinächten war die Stadt in der feuchten Umarmung des Nebels versteckt. Wirbelnde weiße Schwaden trieben durch die Straßen und Gassen.
Aber wenn man die Möglichkeit erhielt,
über
die Nebelschicht zu gelangen, hatte man eine atemberaubende Aussicht.
Auf zweihundertsechzig Metern Höhe befand sich die gefesselte und geknebelte Frau in der Spitze der Transamerica Pyramid
weit
über dem Nebel.
Es war eine atemberaubende Erfahrung – im wahrsten Sinne des Wortes.
Jacqueline Madkins – ihre Freunde nannten sie Jackie – war eigentlich nicht so leicht zu erschüttern. Von ihren zweckmäßigen Schuhen bis zum praktischen Haarschnitt strahlte sie etwas Bodenständiges aus, das ihr bis jetzt in ihrer Karriere stets gut gedient hatte. Seit fast zehn Jahren leitete sie den Sicherheitsdienst des berühmten 286 Jahre alten Wolkenkratzers, dem Kronjuwel der städtischen Skyline. Sie war eine von nur vier Personen auf der Welt mit unbeschränktem Zugang zur Spitze.
Als SecureCam Omega in dieser Nacht ausgefallen war, hatte sie daher ungläubig aufgestöhnt.
Jackie war allein im Sicherheitskontrollzentrum im dreißigsten Stock. Ihr Team, insgesamt zwanzig Wächter, machte gerade die übliche Runde. Das war ein ganz schöner Aufwand. Nur sie saß vor einer Reihe Bildschirme, die ihr Livebilder der einhundertsechzig Überwachungskameras zeigten. Rhythmisch drückte sie den Knopf von SecureCam Omega auf der Steuerkonsole.
Ein schwarzer Bildschirm. Es sah aus, als wäre die Kamera ausgefallen, aber Jackie wusste, dass das nicht passieren konnte. Ihr lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Die obersten fünfundsechzig Meter der Transamerica Pyramid bestanden aus einer hohlen, halb transparenten und selbstleuchtenden Spitze. Innerhalb dieser Spitze führte eine zickzackförmige Treppe bis ganz nach oben, wo ein 1000-Watt-LED-Warnlicht für den Luftverkehr brannte. SecureCam Omega – diejenige, die offenbar ausgefallen war – überwachte normalerweise die Warnsignalkammer. Dorthin war es ein langer, harter Aufstieg.
Jackie dachte an diese Kletterei und sah dann reuevoll auf ihre Füße. »Es ist nicht so, als würde ich schicke Schuhe nicht mögen«, hatte sie erst kürzlich ihrer Schwester erzählt, »aber in meinem Berufszweig sind sie einfach unpraktisch.«
Plötzlich summte ihr Kommunikator. Sie drückte auf einen Knopf an ihrem Gürtel.
»Was ist los, Will?«, fragte sie.
»Haben Sie das gerade gesehen?«
, ertönte die Stimme von Will Rosen, einem Mitglied ihres Sicherheitsteams. Er war noch sehr jung und klang erschrocken.
»Was denn?«
»Den Blitz!«
, rief Will.
Jackie drehte sich in ihrem Sessel zu einer anderen Konsole und überprüfte die »große Karte«, wie sie es nannte, eine große schematische Darstellung des gesamten Gebäudes. Bläulich glühende Symbole markierten den aktuellen Aufenthaltsort aller zwanzig Teammitglieder. Jedes Symbol hatte eine Nummer.
»Okay, ich sehe Sie in Stockwerk achtundvierzig«, sagte sie. »Ist das richtig?«
Der gesamte achtundvierzigste Stock der Transamerica Pyramid bestand aus einem einzigen großen Konferenzraum und bot eine Rundumsicht auf die Stadt.
»Bestätigt«
, erwiderte Will.
»Es sah so aus, als wäre es direkt vor dem Fenster passiert.«
Er atmete flach und gehetzt.
»Sehr hell, wie eine Explosion.«
»Ich habe nichts gehört.«
»Ich auch nicht«
, sagte Will.
»Das wird ja immer seltsamer«, murmelte sie.
»Wie bitte?«
Nun bekam sie auch noch einen Anruf über die rote Notrufleitung zum Polizeirevier. »Nichts. Rühren Sie sich nicht von der Stelle, Will. Ich bin gleich bei Ihnen.« Sie beendete die Verbindung. Dann nahm sie den Anruf auf der roten Leitung entgegen. »Pyramid-Sicherheit, hier spricht Madkins.« Sie klang ruhig und gefasst.
»Hey Jackie, alles klar bei dir?«
, fragte die Stimme in der Leitung.
»Hey, Sam«, erwiderte sie. Es war Sergeant Sam Kalar vom Polizeirevier gleich die Straße runter. »Was gibt es?«
»Wir haben Meldungen über einen hellen Blitz am Gebäude erhalten«
, erwiderte Kalar.
»Die Leute rufen hier wie verrückt deswegen an.«
»Einer meiner Jungs hat einen Blitz gesehen, aber nichts gehört«, sagte Jackie. »Es scheint alles in Ordnung zu sein. Ich habe Strom,
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