Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
zufließenden Blutes verlangt; worauf die solche bewirkende Speise sich sofort der Schwangeren als Gegenstand heißer Sehnsucht darstellt, also auch hier ein Wahn entsteht. Demnach hat das Weib einen Instinkt mehr als der Mann: auch ist das Gangliensystem beim Weibe viel entwickelter. – Aus dem großen Uebergewicht des Gehirns beim Menschen erklärt sich, daß er wenigere Instinkte hat, als die Thiere, und daß selbst diese wenigen leicht irre geleitet werden können. Nämlich der die Auswahl zur Geschlechtsbefriedigung instinktiv leitende Schönheitssinn wird irre geführt, wenn er in Hang zur Päderastie ausartet; Dem analog, wie die Schmeißfliege (Musca vomitoria) , statt ihre Eier, ihrem Instinkt gemäß, in faulendes Fleisch zu legen, sie in die Blüthe des Arum dracunculus legt, verleitet durch den kadaverosen Geruch dieser Pflanze.
Daß nun aller Geschlechtsliebe ein durchaus auf das zu Erzeugende gerichteter Instinkt zum Grunde liegt, wird seine volle Gewißheit durch genauere Zergliederung desselben erhalten, der wir uns deshalb nicht entziehn können. – Zuvörderst gehört hieher, daß der Mann von Natur zur Unbeständigkeit in der Liebe, das Weib zur Beständigkeit geneigt ist. Die Liebe des Mannes sinkt merklich, von dem Augenblick an, wo sie Befriedigung erhalten hat: fast jedes andere Weib reizt ihn mehr als das, welches er schon besitzt: er sehnt sich nach Abwechselung. Die Liebe des Weibes hingegen steigt von eben jenem Augenblick an. Dies ist eine Folge des Zwecks der Natur, welche auf Erhaltung und daher auf möglichst starke Vermehrung der Gattung gerichtet ist. Der Mann nämlich kann, bequem, über hundert Kinder im Jahre zeugen, wenn ihm eben so viele Weiber zu Gebote stehn; das Weib hingegen könnte, mit noch so vielen Männern, doch nur ein Kind im Jahr (von Zwillingsgeburten abgesehn) zur Welt bringen. Daher sieht er sich stets nach andern Weibern um; sie hingegen hängt fest dem Einen an: denn die Natur treibt sie, instinktmäßig und ohne Reflexion, sich den Ernährer und Beschützer der künftigen Brut zu erhalten. Demzufolge ist die eheliche Treue dem Manne künstlich, dem Weibe natürlich, und also Ehebruch des Weibes, wie objektiv, wegen der Folgen, so auch subjektiv, wegen der Naturwidrigkeit, viel unverzeihlicher als der des Mannes.
Aber um gründlich zu seyn und die volle Ueberzeugung zu gewinnen, daß das Wohlgefallen am andern Geschlecht, so objektiv es uns dünken mag, doch bloß verlarvter Instinkt, d.i. Sinn der Gattung, welche ihren Typus zu erhalten strebt, ist, müssen wir sogar die bei diesem Wohlgefallen uns leitenden Rücksichten näher untersuchen und auf das Specielle derselben eingehn, so seltsam auch die hier zu erwähnenden Specialitäten in einem philosophischen Werke figuriren mögen. Diese Rücksichten zerfallen in solche, welche unmittelbar den Typus der Gattung, d.i. die Schönheit, betreffen, in solche, welche auf psychische Eigenschaften gerichtet sind, und endlich in bloß relative, welche aus der erforderten Korrektion oder Neutralisation der Einseitigkeiten und Abnormitäten der beiden Individuen durch einander hervorgehn. Wir wollen sie einzeln durchgehn.
Die oberste, unsere Wahl und Neigung leitende Rücksicht ist das Alter . Im Ganzen lassen wir es gelten von den Jahren der eintretenden bis zu denen der aufhörenden Menstruation, geben jedoch der Periode vom achtzehnten bis achtundzwanzigsten Jahre entschieden den Vorzug. Außerhalb jener Jahre hingegen kann kein Weib uns reizen: ein altes, d.h. nicht mehr menstruirtes Weib erregt unsern Abscheu, Jugend ohne Schönheit hat immer noch Reiz; Schönheit ohne Jugend keinen. – Offenbar ist die hiebei uns unbewußt leitende Absicht die Möglichkeit der Zeugung überhaupt: daher verliert jedes Individuum an Reiz für das andere Geschlecht in dem Maaße, als es sich von der zur Zeugung oder zur Empfängniß tauglichsten Periode entfernt. – Die zweite Rücksicht ist die der Gesundheit : akute Krankheiten stören nur vorübergehend, chronische, oder gar Kachexien, schrecken ab; – weil sie auf das Kind übergehn. – Die dritte Rücksicht ist das Skelett : weil es die Grundlage des Typus der Gattung ist. Nächst Alter und Krankheit stößt nichts uns so sehr ab, wie eine verwachsene Gestalt: sogar das schönste Gesicht kann nicht dafür entschädigen; vielmehr wird selbst das häßlichste, bei geradem Wüchse, unbedingt vorgezogen. Ferner empfinden wir jedes Mißverhältniß des Skeletts am stärksten,
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