Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
noch könnte überwiegende Geisteskraft, oder gar Genie, als eine Abnormität, ungünstig wirken. Daher sieht man oft einen häßlichen, dummen und rohen Menschen einen wohlgebildeten, geistreichen und liebenswürdigen Mann bei Weibern ausstechen. Auch werden Ehen aus Liebe bisweilen geschlossen zwischen geistig höchst heterogenen Wesen: z.B. er roh, kräftig und beschränkt, sie zart empfindend, fein denkend, gebildet, ästhetisch u.s.w.; oder er gar genial und gelehrt, sie eine Gans:
Sic visum Veneri; cui placet impares
Formas atque animos sub juga aënea
Saevo mittere cum joco.
Der Grund ist, daß hier ganz andere Rücksichten vorwalten, als die intellektuellen: – die des Instinkts. Bei der Ehe ist es nicht auf geistreiche Unterhaltung, sondern auf die Erzeugung der Kinder abgesehn: sie ist ein Bund der Herzen, nicht der Köpfe. Es ist ein eiteles und lächerliches Vorgeben, wenn Weiber behaupten, in den Geist eines Mannes sich verliebt zu haben, oder es ist die Ueberspannung eines entarteten Wesens. – Männer hingegen werden in der instinktiven Liebe nicht durch die Charakter - Eigenschaften des Weibes bestimmt; daher so viele Sokratesse ihre Xanthippen gefunden haben, z.B. Shakespeare, Albrecht Dürer, Byron u. s. w. Wohl aber wirken hier die intellektuellen Eigenschaften ein; weil sie von der Mutter erben: jedoch wird ihr Einfluß von dem der körperlichen Schönheit, als welche, wesentlichere Punkte betreffend, unmittelbarer wirkt, leicht überwogen. Inzwischen geschieht es, im Gefühl oder nach der Erfahrung jenes Einflusses, daß Mütter ihre Töchter schöne Künste, Sprachen u. dgl. erlernen lassen, um sie für Männer anziehend zu machen; wobei sie dem Intellekt durch künstliche Mittel nachhelfen wollen, eben wie vorkommenden Falls den Hüften und Busen. – Wohl zu merken, daß hier überall die Rede allein ist von der ganz unmittelbaren, instinktartigen Anziehung, aus welcher allein die eigentliche Verliebtheit erwächst. Daß ein verständiges und gebildetes Weib, Verstand und Geist an einem Manne schätzt, daß ein Mann, aus vernünftiger Ueberlegung, den Charakter seiner Braut prüft und berücksichtigt, thut nichts zu der Sache, wovon es sich hier handelt: dergleichen begründet eine vernünftige Wahl bei der Ehe, aber nicht die leidenschaftliche Liebe, welche unser Thema ist.
Bis hieher habe ich bloß die absoluten Rücksichten, d.h. solche, die für Jeden gelten, in Betracht genommen: ich komme jetzt zu den relativen , welche individuell sind; weil bei ihnen es darauf abgesehn ist, den bereits sich mangelhaft darstellenden Typus der Gattung zu rektificiren, die Abweichungen von demselben, welche die eigene Person des Wählenden schon an sich trägt, zu korrigiren und so zur reinen Darstellung des Typus zurückzuführen. Hier liebt daher Jeder, was ihm abgeht. Von der individuellen Beschaffenheit ausgehend und auf die individuelle Beschaffenheit gerichtet, ist die auf solchen relativen Rücksichten beruhende Wahl viel bestimmter, entschiedener und exklusiver, als die bloß von den absoluten ausgehende; daher der Ursprung der eigentlich leidenschaftlichen Liebe, in der Regel, in diesen relativen Rücksichten liegen wird, und nur der der gewöhnlichen, leichteren Neigung in den absoluten. Demgemäß pflegen es nicht gerade die regelmäßigen, vollkommenen Schönheiten zu seyn, welche die großen Leidenschaften entzünden. Damit eine solche wirklich leidenschaftliche Neigung entstehe, ist etwas erfordert, welches sich nur durch eine chemische Metapher ausdrücken läßt: beide Personen müssen einander neutralisiren, wie Säure und Alkali zu einem Mittelsalz. Die hiezu erforderlichen Bestimmungen sind im Wesentlichen folgende. Erstlich: alle Geschlechtlichkeit ist Einseitigkeit. Diese Einseitigkeit ist in Einem Individuo entschiedener ausgesprochen und in höherm Grade vorhanden, als im Andern: daher kann sie in jedem Individuo besser durch Eines als das Andere vom andern Geschlecht ergänzt und neutralisirt werden, indem es einer der seinigen individuell entgegengesetzten Einseitigkeit bedarf, zur Ergänzung des Typus der Menschheit im neu zu erzeugenden Individuo, als auf dessen Beschaffenheit immer Alles hinausläuft. Die Physiologen wissen, daß Mannheit und Weiblichkeit unzählige Grade zulassen, durch welche jene bis zum widerlichen Gynander und Hypospad[i]äus sinkt, diese bis zur anmuthigen Androgyne steigt: von beiden Seiten aus kann der vollkommene Hermaphroditismus erreicht
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