Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Daseyns wiedergegeben, und zwar auf einer erhöhten Potenz. – Hingegen an die Befriedigung jenes heftigsten aller Triebe und Wünsche knüpft sich der Ursprung eines neuen Daseyns, also die Durchführung des Lebens, mit allen seinen Lasten, Sorgen, Nöthen und Schmerzen, von Neuem; zwar in einem andern Individuo: jedoch wenn Beide, wie sie in der Erscheinung verschieden sind, es auch schlechthin und an sich wären, wo bliebe dann die ewige Gerechtigkeit? – Das Leben stellt sich dar als eine Aufgabe, ein Pensum zum Abarbeiten, und daher, in der Regel, als ein steter Kampf gegen die Noth. Demnach sucht Jeder durch und davon zu kommen, so gut es gehn will: er thut das Leben ab, wie einen Frohndienst, welchen er schuldig war. Wer aber hat diese Schuld kontrahirt? – Sein Erzeuger, im Genuß der Wollust. Also dafür, daß der Eine diese genossen hat, muß der Andere leben, leiden und sterben. Inzwischen wissen wir und sehn hier darauf zurück, daß die Verschiedenheit des Gleichartigen durch Raum und Zeit bedingt ist, welche ich in diesem Sinne das principium individuationis genannt habe. Sonst wäre die ewige Gerechtigkeit nicht zu retten. Eben darauf, daß der Erzeuger im Erzeugten sich selbst wiedererkennt, beruht die Vaterliebe, vermöge welcher der Vater bereit ist, für sein Kind mehr zu thun, zu leiden und zu wagen, als für sich selbst, und zugleich dies als seine Schuldigkeit erkennt.
Das Leben eines Menschen, mit seiner endlosen Mühe, Noth und Leiden, ist anzusehn als die Erklärung und Paraphrase des Zeugungsaktes, d.i. der entschiedenen Bejahung des Willens zum Leben: zu derselben gehört auch noch, daß er der Natur einen Tod schuldig ist, und er denkt mit Beklemmung an diese Schuld. – Zeugt dies nicht davon, daß unser Daseyn eine Verschuldung enthält? – Allerdings aber sind wir, gegen den periodisch zu entrichtenden Zoll, Geburt und Tod, immerwährend da, und genießen successiv alle Leiden und Freuden des Lebens; so daß uns keine entgehn kann: dies eben ist die Frucht der Bejahung des Willens zum Leben. Dabei ist also die Furcht vor dem Tode, welche uns, trotz allen Plagen des Lebens, darin festhält, eigentlich illusorisch; aber eben so illusorisch ist der Trieb, der uns hineingelockt hat. Diese Lockung selbst kann man objektiv anschauen in den sich sehnsüchtig begegnenden Blicken zweier Liebenden: sie sind der reinste Ausdruck des Willens zum Leben in seiner Bejahung. Wie ist er hier so sanft und zärtlich! Wohlseyn will er, und ruhigen Genuß und sanfte Freude, für sich, für Andere, für Alle. Es ist das Thema des Anakreon. So lockt und schmeichelt er sich selbst ins Leben hinein. Ist er aber darin, dann zieht die Quaal das Verbrechen, und das Verbrechen die Quaal herbei: Gräuel und Verwüstung füllen den Schauplatz. Es ist das Thema des Aeschylos.
Der Akt nun aber, durch welchen der Wille sich bejaht und der Mensch entsteht, ist eine Handlung, deren Alle sich im Innersten schämen, die sie daher sorgfältig verbergen, ja, auf welcher betroffen sie erschrecken, als wären sie bei einem Verbrechen ertappt worden. Es ist eine Handlung, deren man bei kalter Ueberlegung meistens mit Widerwillen, in erhöhter Stimmung mit Abscheu gedenkt. Näher auf dieselbe in diesem Sinne eingehende Betrachtungen liefert Montaigne , im 5. Kapitel des dritten Buches, unter der Randglosse: ce que c'est que l'amour . Eine eigenthümliche Betrübniß und Reue folgt ihr auf dem Fuße, ist jedoch am fühlbarsten nach der erstmaligen Vollziehung derselben, überhaupt aber um so deutlicher, je edler der Charakter ist. Selbst Plinius , der Heide, sagt daher: Homini tantum primi coitus poenitentia: augurium scilicet vitae, a poenitenda origine (Hist. nat., X, 83). Und andererseits, was treiben und singen, in Goethes »Faust«, Teufel und Hexen auf ihrem Sabbath? Unzucht und Zoten. Was docirt eben daselbst (in den vortrefflichen Paralipomenis zum Faust), vor der versammelten Menge, der leibhaftige Satan? – Unzucht und Zoten; nichts weiter. – Aber einzig und allein mittelst der fortwährenden Ausübung einer so beschaffenen Handlung besteht das Menschengeschlecht. – Hätte nun der Optimismus Recht, wäre unser Daseyn das dankbar zu erkennende Geschenk höchster, von Weisheit geleiteter Güte, und demnach an sich selbst preiswürdig, rühmlich und erfreulich; da müßte doch wahrlich der Akt, welcher es perpetuirt, eine ganz andere Physiognomie tragen. Ist hingegen dieses Daseyn eine Art Fehltritt, oder Irrweg;
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