Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Reinheit, Gewissenhaftigkeit und Verschämtheit des jugendlichen Alters entgegensteht.
Aus dieser Darstellung ergiebt sich, daß, während das in Betracht genommene Laster den Zwecken der Natur, und zwar im Allerwichtigsten und ihr Angelegensten, gerade entgegenzuarbeiten scheint, es in Wahrheit eben diesen Zwecken, wiewohl nur mittelbar, dienen muß, als Abwendungsmittel größerer Uebel. Es ist nämlich ein Phänomen der absterbenden und dann wieder der unreifen Zeugungskraft, welche der Species Gefahr drohen: und wiewohl sie alle Beide aus moralischen Gründen pausiren sollten; so war hierauf doch nicht zu rechnen; da überhaupt die Natur das eigentlich Moralische bei ihrem Treiben nicht in Anschlag bringt. Demnach griff die, in Folge ihrer eigenen Gesetze, in die Enge getriebene Natur, mittelst Verkehrung des Instinkts, zu einem Nothbehelf, einem Stratagem, ja, man möchte sagen, sie bauete sich eine Eselsbrücke, um, wie oben dargelegt, von zweien Uebeln dem größern zu entgehn. Sie hat nämlich den wichtigen Zweck im Auge, unglücklichen Zeugungen vorzubeugen, welche allmälig die ganze Species depraviren könnten, und da ist sie, wie wir gesehn haben, nicht skrupulös in der Wahl der Mittel. Der Geist, in welchem sie hier verfährt, ist der selbe, in welchem sie, wie oben, Kapitel 27, angeführt, die Wespen antreibt, ihre Jungen zu erstechen: denn in beiden Fällen greift sie zum Schlimmen, um Schlimmerem zu entgehn: sie führt den Geschlechtstrieb irre, um seine verderblichsten Folgen zu vereiteln.
Meine Absicht bei dieser Darstellung ist zunächst die Lösung des oben dargelegten auffallenden Problems gewesen; sodann aber auch die Bestätigung meiner, im vorstehenden Kapitel ausgeführten Lehre, daß bei aller Geschlechtsliebe der Instinkt die Zügel führt und Illusionen schafft, weil der Natur das Interesse der Gattung allen andern vorgeht, und daß Dies sogar bei der hier in Rede stehenden, widerwärtigen Verirrung und Ausartung des Geschlechtstriebes gültig bleibt; indem auch hier, als letzter Grund, die Zwecke der Gattung sich ergeben, wiewohl sie, in diesem Fall, bloß negativer Art sind, indem die Natur dabei prophylaktisch verfährt. Diese Betrachtung wirft daher auf meine gesammte Metaphysik der Geschlechtsliebe Licht zurück. Ueberhaupt aber ist durch diese Darstellung eine bisher verborgene Wahrheit zu Tage gebracht, welche, bei aller ihrer Seltsamkeit, doch neues Licht auf das innere Wesen, den Geist und das Treiben der Natur wirft. Demgemäß hat es sich dabei nicht um moralische Verwarnung gegen das Laster, sondern um das Verständniß des Wesens der Sache gehandelt. Uebrigens ist der wahre, letzte, tief metaphysische Grund der Verwerflichkeit der Päderastie dieser, daß, während der Wille zum Leben sich darin bejaht, die Folge solcher Bejahung, welche den Weg zur Erlösung offen hält, also die Erneuerung des Lebens, gänzlich abgeschnitten ist. – Endlich habe ich auch, durch Darlegung dieser paradoxen Gedanken, den durch das immer weitere Bekanntwerden meiner von ihnen so sorgfältig verhehlten Philosophie jetzt sehr deconcertirten Philosophieprofessoren eine kleine Wohlthat zufließen lassen wollen, indem ich ihnen Gelegenheit eröffnete zu der Verläumdung, daß ich die Päderastie in Schutz genommen und anempfohlen hätte.
Kapitel 45.Von der Bejahung des Willens zum Leben
Wenn der Wille zum Leben sich bloß darstellte als Trieb zur Selbsterhaltung; so würde dies nur eine Bejahung der individuellen Erscheinung, auf die Spanne Zeit ihrer natürlichen Dauer seyn. Die Mühen und Sorgen eines solchen Lebens würden nicht groß, mithin das Daseyn leicht und heiter ausfallen. Weil hingegen der Wille das Leben schlechthin und auf alle Zeit will, stellt er sich zugleich dar als Geschlechtstrieb, der es auf eine endlose Reihe von Generationen abgesehn hat. Dieser Trieb hebt jene Sorglosigkeit, Heiterkeit und Unschuld, die ein bloß individuelles Daseyn begleiten würden, auf, indem er in das Bewußtseyn Unruhe und Melancholie, in den Lebenslauf Unfälle, Sorge und Noch bringt. – Wenn er hingegen, wie wir es an seltenen Ausnahmen sehn, freiwillig unterdrückt wird; so ist dies die Wendung des Willens, als welcher umkehrt. Er geht alsdann im Individuo auf, und nicht über dasselbe hinaus. Dies kann jedoch nur durch eine schmerzliche Gewalt geschehn, die jenes sich selber anthut. Ist es aber geschehn; so wird dem Bewußtseyn jene Sorglosigkeit und Heiterkeit des bloß individuellen
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