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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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ist es das Werk eines ursprünglich blinden Willens, dessen glücklichste Entwickelung die ist, daß er zu sich selbst komme, um sich selbst aufzuheben; so muß der jenes Daseyn perpetuirende Akt gerade so aussehn, wie er aussieht.
    Hinsichtlich auf die erste Grundwahrheit meiner Lehre verdient hier die Bemerkung eine Stelle, daß die oben berührte Schaam über das Zeugungsgeschäft sich sogar auf die demselben dienenden Theile erstreckt, obschon diese, gleich allen übrigen, angeboren sind. Dies ist abermals ein schlagender Beweis davon, daß nicht bloß die Handlungen, sondern schon der Leib des Menschen die Erscheinung, Objektivation seines Willens und als das Werk desselben zu betrachten ist. Denn einer Sache, die ohne seinen Willen da wäre, könnte er sich nicht schämen.
    Der Zeugungsakt verhält sich ferner zur Welt, wie das Wort zum Räthsel. Nämlich, die Welt ist weit im Raume und alt in der Zeit und von unerschöpflicher Mannigfaltigkeit der Gestalten. Jedoch ist dies Alles nur die Erscheinung des Willens zum Leben; und die Koncentration, der Brennpunkt dieses Willens, ist der Generationsakt. In diesem Akt also spricht das innere Wesen der Welt sich am deutlichsten aus. Es ist, in dieser Hinsicht, sogar beachtenswerth, daß er selbst auch schlechthin »der Wille« genannt wird, in der sehr bezeichnenden Redensart: »Er verlangte von ihr, sie sollte ihm zu Willen seyn.« Als der deutlichste Ausdruck des Willens also ist jener Akt der Kern, das Kompendium, die Quintessenz der Welt. Daher geht uns durch ihn ein Licht auf über ihr Wesen und Treiben: er ist das Wort zum Räthsel. Demgemäß ist er verstanden unter dem »Baum der Erkenntniß«: denn nach der Bekanntschaft mit ihm gehn Jedem über das Leben die Augen auf, wie es auch Byron sagt:

    The tree of knowledge has been pluck'd, – all's known 70 .
    D. Juan, 1, 128.

    Nicht weniger entspricht dieser Eigenschaft, daß er das große arrhêton , das öffentliche Geheimniß ist, welches nie und nirgends deutlich erwähnt werden darf, aber immer und überall sich, als die Hauptsache, von selbst versteht und daher den Gedanken Aller stets gegenwärtig ist, weshalb auch die leiseste Anspielung darauf augenblicklich verstanden wird. Die Hauptrolle, die jener Akt und was ihm anhängt in der Welt spielt, indem überall Liebesintriguen einerseits betrieben und andererseits vorausgesetzt werden, ist der Wichtigkeit dieses punctum saliens des Welteies ganz angemessen. Das Belustigende liegt nur in der steten Verheimlichung der Hauptsache.
    Aber nun seht, wie der junge, unschuldige, menschliche Intellekt, wann ihm jenes große Geheimniß der Welt zuerst bekannt wird, erschrickt über die Enormität! Der Grund hievon ist, daß auf dem weiten Wege, den der ursprünglich erkenntnißlose Wille zu durchlaufen hatte, ehe er sich zum Intellekt, zumal zum menschlichen, vernünftigen, Intellekt steigerte, er sich selber so entfremdet wurde, daß er seinen Ursprung, jene poenitenda origo , nicht mehr kennt und nun vom Standpunkt des lauteren, daher unschuldigen Erkennens aus, sich darüber entsetzt.
    Da nun also der Brennpunkt des Willens, d.h. die Koncentration und der höchste Ausdruck desselben, der Geschlechtstrieb und seine Befriedigung ist; so ist es sehr bezeichnend und in der symbolischen Sprache der Natur naiv ausgedrückt, daß der individualisirte Wille, also der Mensch und das Thier, seinen Eintritt in die Welt durch die Pforte der Geschlechtstheile macht. –
    Die Bejahung des Willens zum Leben, welche demnach ihr Centrum im Generationsakt hat, ist beim Thiere unausbleiblich. Denn allererst im Menschen kommt der Wille, welcher die natura naturans ist, zur Besinnung . Zur Besinnung kommen heißt: nicht bloß zur augenblicklichen Nothdurft des individuellen Willens, zu seinem Dienst in der dringenden Gegenwart, erkennen; – wie dies im Thiere, nach Maaßgabe seiner Vollkommenheit und seiner Bedürfnisse, welche Hand in Hand gehn, der Fall ist; sondern eine größere Breite der Erkenntniß erlangt haben, vermöge einer deutlichen Erinnerung des Vergangenen, ungefähren Anticipation des Zukünftigen und eben dadurch allseitigen Uebersicht des individuellen Lebens, des eigenen, des fremden, ja des Daseyns überhaupt. Wirklich ist das Leben jeder Thierspecies, die Jahrtausende ihrer Existenz hindurch, gewissermaaßen einem einzigen Augenblicke gleich: denn es ist bloßes Bewußtseyn der Gegenwart , ohne das der Vergangenheit und der Zukunft, mithin des Todes. In

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