Alarm auf Wolke sieben
1. KAPITEL
K omm schon, Süße“, murmelte John Miglionni der kurvigen Rothaarigen zu. „Lass dich einfach gehen. Du willst es doch auch! Glaub mir, Baby, es wird sich unglaublich gut anfühlen …“
Er holte tief Luft, als sie genau das tat, was er von ihr verlangte. „Jawohl!“, flüsterte er und zoomte die Frau näher heran, die sich gerade auf den Rücken ihres Quarterhorses schwang. Colorado Insurance würde begeistert sein. Das Filmchen würde der Millionenklage der Frau gegen die Versicherung einen ernsthaften Dämpfer verpassen. Angeblich verhinderte ihre Verletzung ja, dass sie jemals wieder auf ihr geliebtes Pferd steigen konnte. Und das war ganz offensichtlich gelogen.
Er hielt mit der Kamera drauf, während sie mit dem Pferd über den Zaun der Koppel sprang und über die Hochebene galoppierte, die sich östlich von Denver ausbreitete. Als er sie durch das Objektiv nicht mehr erkennen konnte, packte er seine Ausrüstung zusammen und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Wagen.
Fünfundvierzig Minuten später stürmte er durch die Eingangstür von Semper Fi Investigations. John hatte das Motto des United States Marine Corps als Firmennamen gewählt: Semper Fi, vom Lateinischen semperfidelis. Auf ewig treu. Das passte. Grinsend sah er zu, wie seine Sekretärin Gert Mac Dellar vor Schreck aufsprang und sich ans Herz fasste.
„Du meine Güte“, fuhr sie ihn an, während sie böse über den Rand ihrer ovalen strassbesetzten Brille starrte. „Du hast mich um mindestens zehn Jahre meines Lebens gebracht! Und in meinem Alter kann man es sich nicht leisten, auch nur eine Minute zu verlieren, Freundchen.“
„Du wirst uns doch sowieso alle überleben, Gert.“ John setzte sich auf den Rand des massiven Schreibtischs und reichte ihr den Camcorder. „Kümmerst du dich bitte um die Bilder? Ach, und mach bitte die Rechnung fertig, inklusive der dreieinhalb Stunden heute.“
Ihre hellblauen Augen, die einige Schattierungen heller waren als ihr hochtoupiertes Haar, leuchteten auf. „Hast du sie erwischt?“
„Das kann man so sagen.“
Gert jubelte und schloss die Kamera an den Computer an. Während sie mit einer Hand die Daten herunterlud, zog sie mit der anderen einen Stapel grellrosafarbener Notizzettel heran. „Hier. Da waren ein paar Anrufe für dich.“
John las den ersten Zettel und legte ihn dann zu den anderen zurück. Den zweiten Zettel drückte er Gert in die Hand. „Den hier kannst du Les geben.“ Les war der Ingenieur, den er kürzlich erst angestellt hatte, um die Produkthaftungsfälle in den Griff zu bekommen. Er las die nächste Nachricht und kniff die Augen zusammen. Ärgerlich sah er Gert an.
„Du weißt doch, dass ich keine Scheidungsfälle mehr übernehme.“
„Solltest du aber“, antwortete sie, „die werden nämlich verdammt gut bezahlt.“
„Stimmt, aber sie sind auch ziemlich unschön. Ich habe wirklich keine Lust mehr, irgendwelche Leute bei ihren Quickies zu fotografieren. Wenn es um Geldangelegenheiten geht, dann bin ich dabei. Aber wenn ein Mann und eine Frau nur scharf drauf sind, schmutzige Wäsche zu waschen, dann schick sie zu jemand anderem.“ Er ließ die Nachricht auf den Schreibtisch fallen.
Gert zuckte beleidigt mit den Schultern.
John sah sich den letzten Zettel an. Er lächelte. „Okay, das ist schon eher was. Einen Ausreißer aufzuspüren, damit kriegst du mich.“ Er machte es sich bequem. „Erzähl mir mehr darüber.“
Sie setzte sich auf, die momentane Verärgerung war vergessen. „Hast du das von dem Industriellen in Colorado Springs gehört, der mit einem Brieföffner erstochen wurde?“
„Klar. Irgendwas mit Hamilton, richtig?“
„Ford Evans Hamilton. Seine Tochter Victoria hat uns angerufen, also eigentlich ihr Anwalt. Miss Hamiltons siebzehnjähriger Bruder Jared ist genau an dem Tag verschwunden, als ihr Vater starb.“
„Hat der Bengel ihn umgebracht?“
„Laut Anwalt schwört Miss Hamilton, dass der Kleine zu so etwas nicht fähig wäre. Aber er ist schon früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Die Polizei will in jedem Fall mit ihm reden. Also wäre es Victoria lieb, wenn wir ihn vorher finden würden. Anscheinend hat er ein kleines Autoritätsproblem, und es wäre seiner Situation nicht gerade zuträglich, die Cops blöd anzumachen, wenn sie ihn aufgreifen.“
John, der als Jugendlicher ähnliche Probleme gehabt hatte, konnte sich gut in den Teenager hineinversetzen. Er grinste seine Sekretärin breit an.
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