Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
selbst. Hier ist die Scheidewand, welche die Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht ich gewissermaßen zum Ich geworden. Aus der Durchschauung des Erscheinungscharakters der Individualität geht die Gerechtigkeit und die Güte der Gesinnung hervor, das Mitleid, die reine Liebe.
Indem nun aber der Mensch in allen Wesen sein eigenes Ich und in allein Leiden sein eigenes Leiden erkennt, schaudert ihm vor allem Leben und dessen Genüssen (vgl. Buddha). Der Wille wendet sich nun gegen sich selbst, bejaht das (individuell-leibliche) Leben immer schwächer, er ist durch Erkenntnis hellsichtig geworden und verneint das Leben. Selbstmord nützt nichts, denn der Tod trifft dann nur die Erscheinung des Willens, nicht diesen selbst. Hingegen erlöst uns immer mehr vom Leben die Askese in allen ihren Arten (Armut, Kasteiung, Keuschheit usw.), die den Lebenswillen abschwächt, ertötet. Kommt dann der Tod, so trifft er auf einen schon fast ganz erloschenen Willen. »Für den, welcher so endet, hat zugleich die Welt geendet.« Für uns ist dieses Nirwana das Nichts, während es an sich das Höchste, unsere Welt aber nichts ist. Die Verneinung des Willens zum Leben, diese »Selbstaufhebung des Willens«, diese jähe Wendung des Willens gegen sich selbst, ist ein Akt der (durch Erkenntnis geleiteten) Freiheit des Willens; hier ist der einzige Punkt, wo seine Freiheit unmittelbar in die Erscheinung tritt.
Anhänger Sch.s sind mehr oder weniger D. Ascher , E. du Mont , E. O. Lindner, Tauschinski, Th. Stieglitz , J. C. Becker, Frauenstädt, Richard Wagner, Bahnsen, Mainländer, A. Bilharz, C. Peters, R. Köber, P. Deußen u. a., ferner sind von ihm beeinflußt, Fortlage, Hellenbach, du Prel, Noiré, Hamerling, Schellwien u. a., weiters E. v. Hartmann, Wundt, Paulsen, Nietzsche, Ribot u. a.
SCHRIFTEN: Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, 1813; 2. A. 1847; 3. A. 1864. – Über das Sehen und die Farben, 1816: 2. A. 1854; 3. A. 1869. – Die Welt als Wille und Vorstellung, 1819; 2. A. 1844; 8. A. 1891. – Über den Willen in der Natur, 1836; 2. A. 1854; 3. A. 1867. – Die beiden Grundprobleme der Ethik, 1841; 2. A. 1860. – Parerga und Paralipomena, 1851; 2. A. 1862. – Aus dem Nachlaß: Aphorismen zur Lebensweisheit; Philos. Anmerkungen; Neue Paralipomena; Einleitung in die Philos.; Balthazar Gracians Handorakel (alles hrsg. von Grisebach, Univ.-Bibl.). – Memorabilien, Briefe und Nachlaßstücke, hrsg. von Frauenstädt und Lindner, 1863. – Edita und Inedita Schopenhaueriana, hrsg. von Grisebach, 1888 (mit Bibliographie). – Briefe, 1893 (hrsg. von Schemann), 1904 (hrsg. von Grisebach, Univ.-Bibl.). – Gespräche u. Selbstgespräche, hrsg. von Grisebach, 1898; 2. A. 1902. – Sämtliche Werke, hrsg. von Frauenstädt, 6 Bde., 1873-74 u. ö., 1907; hrsg. v. Grisebach, 6 Bde. (Univ.-Bibl.); 1905 hrsg. v. R. Steiner, 12 Bde., 1894 f.; hrsg. von Deußen, I, 1911. – Vgl. LABAN, Die Schopenhauer-Literatur, 1880. – FRAUENSTÄDT, Briefe über die Sch.sche Philosophie, 1854; Sch.-Lexikon, 1871. – R. SEYDEL, Sch.s System, 1857. – R. HAYM, A. Sch., 1864. – W. GWINNER, Sch.s Leben, 1878. – VENETIANER, Sch. als Scholastiker, 1873. – R. KÖBER, Die Philosophie Sch.s, 1888. – HERTSLET, Sch.-Register, 1891. – K. FISCHER, A. Sch., 1893, 3. A. 1908. – R. LEHMANN, S., 1894. – GRISEBACH, Sch., 1897. – MÖBIUS, Über Sch., 1899; 2. A. 1904. – J. VOLKELT, A. Sch., 1900; 3. A. 1907 (Frommans Klassiker der Philos.). – KOWALEWSKY, Sch. und seine Weltanschauung, 1908. – RIBOT, La philos. de Schopenhauer, 12. éd. 1909. – BOSSERT, S., 1905. – RICHERT, Sch., 1905. – SIMMEL, Sch. u. Nietzsche, 1907. – G. FR. WAGNER, Enzyklopäd. Register zu Sch.s Werken, 1909. – RUYSSEN, Sch., 1911.
Die Welt als Wille und Vorstellung
Erster Band.
Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält.
Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?
Goethe.
Vorrede zur ersten Auflage.
Wie dieses Buch zu lesen sei, um möglicherweise verstanden werden zu können, habe ich hier anzugeben mir vorgesetzt. – Was durch dasselbe mitgetheilt werden soll, ist ein einziger Gedanke. Dennoch konnte ich, aller Bemühungen ungeachtet, keinen kürzeren Weg ihn mitzutheilen finden, als dieses ganze Buch. – Ich halte jenen Gedanken für Dasjenige, was man unter dem Namen der Philosophie sehr lange gesucht hat, und dessen Auffindung, eben daher, von den historisch Gebildeten für so
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