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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Agus
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ist.«
    »Woher du nur immer alles weißt, meine kleine Topfguckerin, sogar das Verfallsdatum der Butter hast du nachgesehen!«
    »Aber ich mische mich nicht in anderer Leute Angelegenheiten ein. Ich interessiere mich für sie, jedoch nicht, um über sie herzuziehen, sondern um sie besser zu verstehen.«
    »Du solltest Detektivin oder Anwältin oder Richterin werden. Warum studierst du ausgerechnet Literatur?«

Drei
    S eit meinem zehnten Lebensjahr verbrachte ich jeden Sommer hier, nach dem Unglück, das heißt, nachdem Papa gestorben und Mama verrückt geworden war. Mit meiner Tante und meinem Onkel, die mein Vormund waren, und meinen Cousins kam ich in den Sommerferien aus unserem Dorf hierher. Meine Großeltern mütterlicherseits hatten die Wohnung in Cagliari gekauft, weil sie dachten, das Meer würde mir guttun. Jeden Tag riefen sie an, um sich zu vergewissern, dass wir am Poetto-Strand gewesen waren und ich viel gerannt und geschwommen war. Sie wurden nicht müde, meine Tante zu ermahnen, auch ja gut aufzupassen, dass ich nicht zu weit ins Meer hinausschwamm, für den Fall, dass ich auf dumme Gedanken käme, denn man wisse ja, wes Kind ich sei. Ich war mir jedoch sicher, dass mir nichts zustoßen würde. Im Gegenteil, ich sorgte mich umdie anderen, dass sie ertrinken könnten, und wenn meine Cousins oder meine Tante und mein Onkel im Wasser waren und sie mir nicht antworteten, wenn ich sie rief, war ich außer mir vor Angst. Ich fuhr immer mit Herzklopfen nach Cagliari, denn hier wusste niemand über mich Bescheid, und niemand stellte Fragen. Auf dem Land hingegen fragten die Leute, wenn sie einen nicht kannten, einfach: »Fill’e chini sesi?« , was heißt: »Wessen Tochter bist du?« Und ich antwortete immer wahrheitsgemäß, wer meine Eltern waren, worauf sie mich mitleidig ansahen. Hier in Cagliari waren sogar meine Tante und mein Onkel entspannt, und ich lief mit meinen Cousins unbeschwert herum, als gäbe es hier keine Gefahren, als lauerten sie nur zu Hause auf dem Dorf.
    Nach dem Unglück hätte ich auch zu meinen Großeltern ziehen können, aber meine Mama brauchte mich: Verwirrt, wie sie war, wollte sie mich um sich haben und wartete immer schon auf der Veranda oder Loggia unseres Hauses, von wo aus sie mich am besten sehen konnte, wenn ich mich dem Hauseingang näherte. Und morgens, wenn ich in die Küche kam, lächelte sie mich an, als wäre ich für sie eine unglaubliche Überraschung, und konnte es kaum erwarten, ihr Milchkaffeeritual zu beginnen. Aber statt mir ein Marmeladenbrot zu machen, bestrich sie das Tischtuch mit Marmelade. Mittlerweile hatten beide Großelternpaare die Beziehung zu ihr abgebrochen; ihre eigenen Eltern ertrugen es nicht länger, ihre Tochter zu besuchen, die sie nicht mehr erkannte, und meine Großeltern väterlicherseits gabenihr die Schuld an Papas Selbstmord. Folglich war es ihnen recht, dass meine Tante die Vormundschaft für mich übernahm, Mamas Schwester, die verheiratet war und Kinder ungefähr in meinem Alter hatte. Doch war meine Tante immer angespannt, wenn wir uns auf dem Land aufhielten. Wenn sie zum Beispiel für meine kleinen Cousins einen Kindergeburtstag gab, griff sie immer zu einer List, damit ich nicht dabei war, um die Gäste nicht in Verlegenheit zu bringen. Mama stand, schon bevor sie wahnsinnig wurde, im Ruf, nicht ganz richtig im Kopf zu sein, noch in der Zeit vor Papas Tod, als nur sie beide von der Schülerin wussten, in die Papa sich verliebt hatte. Immer wieder machte sie etwas Verrücktes, zum Beispiel versuchte sie, die Todesarten von berühmten literarischen Figuren nachzuahmen, denn als Lehrerin kannte sie sich in der Literatur aus. Einmal lief sie durchs Haus und stieß immer wieder den Kopf gegen die Wand, wie Pier delle Vigne in der ›Göttlichen Komödie‹, nachdem Friedrich II. ihn unschuldig in den Kerker geworfen hat. Ein andermal stürzte sie sich in einen Bewässerungskanal, genau wie Ophelia – deren Namensvetterin Mama im Übrigen ist –, nachdem Hamlet zu ihr gesagt hat: »Geh in ein Kloster!«
    Manchmal nahm sie mich im strömenden Regen mit hinaus und ging mit mir auf den matschigen Wegen spazieren, während der Wind unsere Regenschirme umklappte, sodass sie hinterher unbrauchbar waren. Zerzaust, vor Kälte zitternd und von oben bis unten mit Schlamm bespritzt, kehrten wir nach Hause zurück.
    Mit der Zeit wurde Mama, die früher einmal eine Schönheit gewesen war, immer hässlicher: Die Beruhigungsmittel hatten ihren

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