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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Titel: Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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beginnen. Ich hatte den Gegner erkannt, gegen den ich zu kämpfen hatte – das falsche Heldentum, das lieber die andern vorausschickt in Leiden und Tod, den billigen Optimismus der gewissenlosen Propheten, der politischen wie der militärischen, die, skrupellos den Sieg versprechend, die Schlächterei verlängern, und hinter ihnen den Chor, den sie sich mieteten, all diese ›Wortemacher des Krieges‹, wie Werfel sie angeprangert in seinem schönen Gedicht. Wer ein Bedenken äußerte, der störte sie bei ihrem patriotischen Geschäft, wer warnte, den verhöhnten sie als Schwarzseher, wer den Krieg, in dem sie selber nicht mitlitten, bekämpfte, den brandmarkten sie als Verräter. Immer war es dieselbe, die ewige Rotte durch die Zeiten, die die Vorsichtigen feige nannte, die Menschlichen schwächlich, um dann selbst ratlos zu sein in der Stunde der Katastrophe, die sie leichtfertig beschworen. Immer war es dieselbe Rotte, dieselbe, die Kassandra verhöhnt in Troja, Jeremias in Jerusalem, und nie hatte ich Tragik und Größe dieser Gestalten so verstanden wie in diesen allzu ähnlichen Stunden. Von Anfang an glaubte ich nicht an den ›Sieg‹ und wußte nur eines gewiß: daß selbst wenn er unter maßlosen Opfern errungen werden könnte, er diese Opfer nicht rechtfertige. Aber immer blieb ich allein unter all meinen Freunden mit solcher Mahnung, und das wirre Siegesgeheul vor dem ersten Schuß, die Beuteverteilung vor der ersten Schlacht ließ mich oft zweifeln, ob ich selbst wahnsinnig sei unter all diesen Klugen oder vielmehr allein grauenhaft wach inmitten ihrer Trunkenheit. So wurde es nur natürlich für mich, die eigene, die tragische Situation des ›Defaitisten‹ – dieses Wort hatte man erfunden, um jenen, die sich um Verständigung bemühten, den Willen zur Niederlage zu unterschieben – in dramatischer Form zu schildern. Ich wählte als Symbol die Gestalt des Jeremias, des vergeblichen Warners. Aber es ging mir keineswegs darum, ein ›pazifistisches‹ Stück zu schreiben, die Binsenwahrheit in Wort und Verse zu setzen, daß Frieden besser sei als Krieg, sondern darzustellen, daß derjenige, der als der Schwache, der Ängstliche in der Zeit der Begeisterung verachtet wird, in der Stunde der Niederlage sich meist als der einzige erweist, der sie nicht nur erträgt, sondern sie bemeistert. Von meinem ersten Stück ›Thersites‹ an hatte mich das Problem der seelischen Superiorität des Besiegten immer wieder von neuem beschäftigt. Immer lockte es mich, die innere Verhärtung zu zeigen, die jede Form der Macht in einem Menschen bewirkt, die seelische Erstarrung, die bei ganzen Völkern jeder Sieg bedingt, und ihr die aufwühlende, die Seele schmerzhaft und furchtbar durchpflügende Macht der Niederlage entgegenzustellen. Mitten im Kriege, indes die andern sich noch, voreilig triumphierend, gegenseitig den unfehlbaren Sieg bewiesen, warf ich mich schon in den untersten Abgrund der Katastrophe und suchte den Aufstieg.
    Aber unbewußt hatte ich, indem ich ein Thema der Bibel wählte, an etwas gerührt, das in mir bisher ungenützt gelegen: an die im Blut oder in der Tradition dunkel begründete Gemeinschaft mit dem jüdischen Schicksal. War es nicht dies, mein Volk, das immer wieder besiegt worden war von allen Völkern, immer wieder, immer wieder, und doch sie überdauert dank einer geheimnisvollen Kraft – eben jener Kraft, die Niederlage zu verwandeln durch den Willen, sie immer und immer wieder zu bestehen? Hatten sie es nicht vorausgewußt, unsere Propheten, dies ewige Gejagtsein und Vertriebensein, das uns auch heute wieder wie Spreu über die Straßen wirft, und hatten sie dies Unterliegen unter der Gewalt nicht bejaht und sogar als einen Weg zu Gott gesegnet? War Prüfung nicht ewig von Gewinn für alle und für den einzelnen gewesen – ich fühlte dies beglückt, während ich an diesem Drama schrieb, dem ersten, das ich von meinen Büchern vor mir selbst gelten ließ. Ich weiß heute: ohne all das, was ich mitfühlend, vorausfühlend damals während des Krieges gelitten, wäre ich der Schriftsteller geblieben, der ich vor dem Kriege gewesen, ›angenehm bewegt‹, wie man im Musikalischen sagt, aber nie gefaßt, erfaßt, getroffen bis in die innersten Eingeweide. Jetzt zum erstenmal hatte ich das Gefühl, gleichzeitig aus mir selbst zu sprechen und aus der Zeit. Indem ich versuchte, den andern zu helfen, habe ich damals mir selbst geholfen: zu meinem persönlichsten, privatesten Werk

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