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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Titel: Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Partei zu verschreiben, »Pope zu werden oder Papst«, wie er sagte, und doch drückte ihn das Gewissen, in jenen Jahren, wo jede Woche Entscheidung brachte, nicht mit den Seinen zu sein.
    Zufällig wurde ich in jenen Tagen Zeuge einer solchen, sehr charakteristischen, durchaus neu-russischen Szene, die mir seinen ganzen Zwiespalt enthüllte. Zum erstenmal war in Neapel ein russisches Kriegsschiff auf einer Übungsfahrt eingelaufen. Die jungen Matrosen, die nie in der Weltstadt gewesen, promenierten in ihren schmucken Uniformen durch die Via Toledo und konnten sich mit ihren großen, neugierigen Bauernaugen nicht sattsehen an all dem Neuen. Am nächsten Tag entschloß sich ein Trupp von ihnen, nach Sorrent hinüberzufahren, um ›ihren‹ Dichter zu besuchen. Sie sagten sich nicht an; in ihrer russischen Bruderschaftsidee war es ihnen ganz selbstverständlich, daß ›ihr‹ Dichter jederzeit für sie Zeit haben müsse. Plötzlich standen sie vor seinem Haus, und sie hatten richtig gefühlt: Gorkij ließ sie nicht warten und lud sie zu Gast. Aber – Gorkij erzählte es selbst lachend am nächsten Tage – diese jungen Leute, denen nichts höher stand als die ›Sache‹, gebärdeten sich zunächst recht streng zu ihm. »Wie wohnst du da«, sagten sie, kaum in die schöne behagliche Villa eingetreten. »Du lebst ja ganz wie ein Bourgeois. Und warum kommst du eigentlich nicht nach Rußland zurück?« Gorkij mußte ihnen alles ausführlich erklären, so gut er konnte. Aber im Grunde meinten es die braven Jungen auch nicht so streng. Sie hatten eben nur zeigen wollen, daß sie vor Ruhm keinen ›Respekt‹ hatten und jeden zuerst auf seine Gesinnung prüften. Unbefangen setzten sie sich hin, tranken Tee, plauderten, und zum Schluß umarmte ihn einer nach dem andern beim Abschied. Es war wunderbar, wie Gorkij die Szene erzählte, ganz verliebt in die lockere freie Art dieser neuen Generation und ohne im mindesten etwa durch ihre Burschikosität gekränkt zu sein. »Wie anders wir waren«, wiederholte er immer, »entweder geduckt oder voll Vehemenz, aber nie sicher unserer selbst.« Den ganzen Abend leuchteten seine Augen. Und als ich ihm sagte: »Ich glaube, am liebsten wären Sie mit ihnen heimgefahren«, stutzte er, sah mich scharf an. »Wieso wissen Sie das? Wirklich, ich habe bis zum letzten Augenblick noch überlegt, ob ich nicht alles stehen und liegen lassen sollte, die Bücher, die Papiere und die Arbeit, und mit solchen jungen Burschen vierzehn Tage auf ihrem Schiff ins Blaue fahren. Dann hätte ich wieder gewußt, was Rußland ist. In der Ferne verlernt man das Beste, keiner von uns hat im Exil noch etwas Gutes geleistet.«

    Aber Gorkij irrte, wenn er Sorrent ein Exil nannte. Er konnte doch jeden Tag heimkehren und ist auch tatsächlich heimgekehrt. Er war nicht verbannt mit seinen Büchern, mit seiner Person wie Mereschkowskij – ich bin dem tragisch Verbitterten in Paris begegnet –, nicht wie wir es heute sind, die nach Grillparzers schönem Wort ›zwei Fremden und keine Heimat‹ haben, unbehaust in geborgten Sprachen und umgetrieben vom Wind. Einen wirklichen Exilierten dagegen und einen besonderer Art konnte ich in den nächsten Tagen in Neapel aufsuchen: Benedetto Croce. Jahrzehntelang war er der geistige Führer der Jugend gewesen, er hatte als Senator und Minister alle äußeren Ehren in seinem Lande gehabt, bis sein Widerstand gegen den Faschismus ihn mit Mussolini in Konflikt brachte. Er legte seine Ämter nieder und zog sich zurück; dies aber genügte den Intransigenten nicht, sie wollten seinen Widerstand brechen und ihn notfalls sogar züchtigen. Die Studenten, im Gegensatz zu einst, heute überall Stoßtruppe der Reaktion, stürmten sein Haus und schlugen ihm die Scheiben ein. Aber der kleine untersetzte Mann, der mit seinen klugen Augen und seinem Spitzbärtchen eher wie ein behaglicher Bürgersmann aussieht, ließ sich nicht einschüchtern. Er verließ nicht das Land, er blieb in seinem Hause hinter dem Wall seiner Bücher, obwohl er Rufe an amerikanische und ausländische Universitäten hatte. Er setzte seine Zeitschrift ›Critica‹ in der gleichen Gesinnung fort, veröffentlichte weiter seine Bücher, und so stark war seine Autorität, daß die sonst unerbittliche Zensur auf Befehl Mussolinis vor ihm halt machte, während seine Schüler, seine Gesinnungsgenossen völlig erledigt wurden. Ihn aufzusuchen erforderte für einen Italiener und sogar für einen Ausländer besonderen Mut,

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