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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Titel: Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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beobachten konnte. Ich antwortete also nichts als ein kühles: »Bitte, sehen Sie nach.« Die vier Detektive gingen durch das Haus, öffneten einige Kästen, klopften an ein paar Wände, aber es war mir sofort klar an der lässigen Art, wie sie es taten, daß diese Nachschau pro forma geschah und keiner von ihnen ernstlich an ein Waffendepot in diesem Hause glaubte. Nach einer halben Stunde erklärten sie die Untersuchung für beendet und verschwanden.
    Warum mich diese Farce damals so sehr erbitterte, bedarf leider bereits einer aufklärenden historischen Anmerkung. Denn in den letzten Jahrzehnten hat Europa und die Welt beinahe schon vergessen, welch heilige Sache vordem persönliches Recht und staatsbürgerliche Freiheit gewesen. Seit 1933 sind Durchsuchungen, willkürliche Verhaftungen, Vermögenskonfiskationen, Austreibungen von Heim und Land, Deportationen und jede andere denkbare Form der Erniedrigung beinahe selbstverständliche Angelegenheiten geworden; ich kenne kaum einen meiner europäischen Freunde, der nicht derlei erfahren. Aber damals, zu Beginn von 1934, war eine Hausdurchsuchung in Österreich noch ein ungeheurer Affront. Daß jemand, der wie ich vollkommen jeder Politik fernstand und seit Jahren nicht einmal sein Wahlrecht ausgeübt hatte, ausgesucht worden war, mußte einen besonderen Grund haben, und in der Tat war es eine typisch österreichische Angelegenheit. Der Polizeipräsident von Salzburg war genötigt gewesen, scharf gegen die Nationalsozialisten vorzugehen, die mit Bomben und Explosivstoffen Nacht für Nacht die Bevölkerung beunruhigten, und diese Überwachung war eine bedenkliche Mutleistung, denn schon damals setzte die Partei ihre Technik des Terrors ein. Jeden Tag erhielten die Amtsstellen Drohbriefe, sie würden dafür zu bezahlen haben, wenn sie weiterhin die Nationalsozialisten ›verfolgten‹, und in der Tat – wenn es Rache galt, haben die Nationalsozialisten ihr Wort immer hundertprozentig gehalten – sind die getreuesten österreichischen Beamten gleich am ersten Tage nach Hitlers Einmarsch ins Konzentrationslager geschleppt worden. So lag der Gedanke nahe, durch eine Haussuchung bei mir demonstrativ kundzutun, daß man vor niemandem mit solchen Sicherungsmaßnahmen zurückscheue. Ich aber spürte hinter dieser an sich unbeträchtlichen Episode, wie ernst die Sachlage in Österreich schon geworden war, wie übermächtig der Druck von Deutschland her. Mein Haus gefiel mir nicht mehr seit jenem amtlichen Besuch, und ein bestimmtes Gefühl sagte mir, daß solche Episoden nur schüchternes Vorspiel viel weiterreichender Eingriffe waren. Am selben Abend begann ich meine wichtigsten Papiere zu packen, entschlossen, nun immer im Ausland zu leben, und diese Loslösung bedeutete mehr als eine von Haus und Land, denn meine Familie hing an diesem Haus als ihrer Heimat, sie liebte das Land. Mir aber war persönliche Freiheit die wichtigste Sache auf Erden. Ohne irgend jemanden meiner Freunde und Bekannten von meiner Absicht zu verständigen, reiste ich zwei Tage später nach London zurück; mein erstes dort war, der Behörde in Salzburg die Mitteilung zu machen, daß ich meinen Wohnsitz definitiv aufgegeben hätte. Es war der erste Schritt, der mich von meiner Heimat loslöste. Aber ich wußte, seit jenen Tagen in Wien, daß Österreich verloren war – freilich ahnte ich noch nicht, wieviel ich damit verlor.

Die Agonie des Friedens
»The sun of Rome is set. Our day is gone.
Clouds, dews and dangers come; our deeds are done.«
Shakespeare, ›Julius Cäsar‹
    So wenig wie seinerzeit Sorrent für Gorkij, bedeutete England in den ersten Jahren für mich ein Exil. Österreich bestand weiter, auch nach jener sogenannten ›Revolution‹ und dem ihr bald nachfolgenden Versuch der Nationalsozialisten, durch einen Handstreich und die Ermordung Dollfuß’ das Land an sich zu reißen. Die Agonie meiner Heimat sollte noch vier Jahre dauern. Ich konnte zu jeder Stunde heimkehren, ich war nicht verbannt, nicht geächtet. Noch standen in meinem Salzburger Haus unbehelligt meine Bücher, noch trug ich meinen österreichischen Paß, noch war die Heimat meine Heimat, noch war ich dort Bürger – und Bürger mit vollen Rechten. Noch hatte nicht jener grauenhafte, jener keinem, der ihn nie am eigenen Leibe erlebt, erklärbare Zustand der Vaterlandslosigkeit begonnen, dieses nervenzerwühlende Gefühl, mit offenen wachen Augen im Leeren zu taumeln und zu wissen, daß man überall, wo man Fuß

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