Die Weltgeschichte der Pflanzen
Getreidearten nach Hirse an letzter Stelle und ist nur im Europa nördlich der Alpen eine wichtige Nahrungspflanze. Deutschland ist nach Russland der zweitgrößte Produzent dieses im Anbau genügsamen und anspruchslosen Getreides, dann folgen Polen und Belgien.
Die Domestizierung des Roggens begann vermutlich später als die von Gerste, Einkorn und anderen frühen Getreidearten. Lange kannte man keine archäologischen Funde, die dann aber doch im Fruchtbaren Halbmond zutage kamen. Inzwischen wurde Roggen auch schon zur späten Bandkeramikzeit in Südpolen nachgewiesen. In Mitteleuropa setzte seine Kultivierung erst relativ spät in keltischer Zeit ein, etwa auf der Heuneburg, die zur Hallstatt-Kultur (1. Jahrtausend v. Chr.) gehörte.
Roggen wuchs wie Unkraut seit der Frühzeit bis ins Mittelalter auf anderen Feldern einfach mit, auch wenn er mittlerweile – wie in der eisenzeitlichen Hallstattphase – ein Kulturgetreide war. Bei Klimaverschlechterungen, die im Früh- und Spätmittelalter bis in die Goethezeit eintraten, war der anspruchslose Roggen deutlich im Vorteil.
Die Diät-Revolution
Hafer
Als anspruchloseste aller Getreidearten spielte Hafer als Haferbrei oder Hafergrütze im Mittelalter und noch lange danach eine überragende Rolle. Es war das Haupt- und Grundnahrungsmittel im Europa nördlich der Alpen.
Im Gegensatz zu Weizen oder Roggen ist Hafer ( Avena ) ein Rispengras und bildet keine Ähre aus. Die moderne Variante dieser mittelalterlichen Nahrungsgrundlage ist das Bircher-Müsli, das hauptsächlich aus Haferflocken besteht. In dieser Form war und ist Hafer das hochwertigste Getreide nördlicher Breiten, weil die Körner nicht geschält, sondern lediglich gewalzt werden, die vitaminreiche Außenhaut also erhalten bleibt. Zum Brotbacken eignete sich Hafer jedoch nie, weil das Getreide zu wenig Kleberanteil enthält.
Das schönste und bekannteste Bild einer spätmittelalterlichen Grützemahlzeit liefert die berühmte Bauernhochzeit des flämischen Malers Pieter Bruegel der Ältere, auf dem die gerade hereingetragenen Grützeschalen geradezu im Mittelpunkt des Gemäldes stehen.
Die ersten mitteleuropäischen Ackerbauern, die Bandkeramiker, hatten den Hafer um 5000 v. Chr. entweder aus dem Nahen Osten mitgebracht oder bei Zwischenstationen ihrer langen Wanderung am Schwarzen Meer kennengelernt. Der älteste Anbau von Saathafer ist am Dnjestr nachgewiesen, nördlich des Schwarzen Meeres in der heutigen Ukraine, dann auch in Südpolen. Im Anbau waren den Bandkeramikern Einkorn und Gerste wohl zunächst wichtiger. Hafer wurde mitgenutzt; sein systematischer Anbau ist –vergleichsweise spät – für die Bronzezeit (ab circa 2500 v. Chr.) nachgewiesen. Die Menschen, welche die Kreisgrabenanlage von Goseck errichteten und später die Himmelsscheibe von Nebra vergruben, fingen demnach auch mit dem Haferanbau an. Richtig in Gang kam der Anbau aber, ähnlich wie der des Roggens, erst in der Eisenzeit im ersten Jahrtausend v. Chr.
Als die Römer am Limes noch die Nordostgrenze ihres Reiches bewachten, fiel ihnen auf, dass die Germanen jenseits des Limes vorzugsweise Haferbrei aßen, wofür die weizenverwöhnten Römer wenig Verständnis aufbrachten. Die Kelten, welche hauptsächlich südlich des Mains siedelten, waren demnach wohl im Großen und Ganzen keine Haferbreiesser. Erst im Hochmittelalter wurde Hafer ebenfalls dort angebaut.
Im 19. Jahrhundert hatte die Kartoffel zumindest im Europa nördlich der Alpen den Hafer als Grundnahrungsmittel auch in den ärmeren Schichten verdrängt. Wie der Hafer kam die Kartoffel mit kargen Böden aus, die Ernte war weniger wetteranfällig, die Knolle billig. Dennoch blieb Hafer bis zum Zweiten Weltkrieg neben Weizen das wichtigste Getreide, weil man ihn für die Pferde benötigte. Diese waren bis zur Motorisierung der Landwirtschaft nach 1945 die wichtigsten Zugtiere.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand der Hafer eine neue Klientel: Die »gehobene Gesellschaft« zeigte sich plötzlich ernährungsbewusst und setzte dabei auf das Getreide.
Die Diät-Revolution um 1900 muss man vor dem Hintergrund der damaligen Ernährungsgewohnheiten betrachten. Auf die bürgerliche Tafel kamen übergartes Fleisch, Sättigungsbeilagen, schwere Soßen, alles oftmals scharf gewürzt. Ferner Tee, Kaffee und Alkohol. Ganz zu schweigen vom exzessiven Tabakgenuss in Pfeifen und Zigarren, wie man sie in den Karikaturen von Wilhelm Busch so häufig sieht; Zeichnungen, die den
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