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Die Wiederkehr des gefallenen Engels

Die Wiederkehr des gefallenen Engels

Titel: Die Wiederkehr des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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fuhr herum.
    Vor ihr lag das Grauen. Eine wüste Ebene, so weit das Auge reichte, angefüllt mit zerlumpten Leibern, die auf eine gigantische Festung zuströmten. Wie die Wellen eines Meeres brandeten sie gegen Mauern an, die über einhundert Meter hoch sein mochten. Lara blinzelte in die Hitze. Waren das Menschen, die Schwerter und Äxte schwangen?
    Nein …
    Lara erschrak. Es waren Monster. Nun konnte sie Gesichter in der Menge ausmachen. Gesichter? Nein. Fratzen. Hässliche, widerwärtige Fratzen, vor Wut verzerrt. Nun vernahm sie auch Schreie, aus unzähligen Kehlen ausgestoßen. Wie ein Banner flog der ohrenbetäubende Lärm vor ihnen her.
    Dann wurde es dunkel.
    Richtiggehend düster. Ein gewaltiger Schatten hatte sich über das Land gelegt, Lara blickte zum bleigrauen Himmel auf. Was sie sah, ließ sie an ihrem Verstand zweifeln. Weitere Monster, diesmal mit Flügeln, segelten im heißen Wind heran. Ihr Kreischen schmerzte in Laras Ohren.
    Die Monster stürzten sich auf die Festungsmauern hinab und wurden von einer schwarzen Wolke aus Pfeilen empfangen, die ihnen surrend entgegenjagten. Posauen erklangen. Trommeln schlugen.
    Die Welle der Monster am Boden war auch am Fuße der Mauer nicht zu stoppen. Lara konnte nicht erkennen, wie sie es machten, aber die Angreifer kletterten den rauen Stein hinauf, als würden ihre Pranken sicheren Halt finden. Ameisen gleich strömten sie der Brüstung entgegen. Von oben wurden Lanzen herabgeworfen. Pfeile schossen durch die Luft. Hunderte verloren den Halt, rissen weitere Tausend mit sich in den tödlichen Abgrund.
    Das Chaos war vollkommen. Der Lärm der Schlacht, ein Meer, in dem sie zu versinken drohte.
    Plötzlich wurde sie an der Hand berührt. Lara zuckte zusammen. Automatisch hatte sie die Hand zum Schlag gehoben, aber sie ließ die Faust wieder sinken, als sie erkannte, dass nur ein kleines Mädchen von vielleicht vier Jahren vor ihr stand und sie aus himmelblauen Augen betrachtete.
    »Ich bin Satan«, sagte das Mädchen, doch Lara verstand sie bei dem Lärm der tobenden Schlacht nicht. Die blonden Zöpfe schwangen leicht hin und her, als die Kleine unbekümmert von einem Fuß auf den anderen hüpfte. Sie trug ein rotes Kleid, mit freundlichen blauen Kornblumen darauf. In das Haar war ein Blütenkranz geflochten. Die Geräusche um Lara herum wurden leiser, so als habe sich eine riesige Glocke über das Kampffeld gelegt.
    »Schau mal, was ich bekommen habe.«
    Das Kind holte ein Jo-Jo hervor und begann, damit zu spielen. Nach zwei Versuchen hatte sich die Schnur verwickelt.
    »Och, das passiert mir jedes Mal«, sagte die Kleine enttäuscht. »Kannst du mir helfen?«
    Die blauen Augen richteten sich Hilfe suchend auf Lara.
    Lara fühlte sich benommen. Die Hitze war unerträglich. Das Denken fiel ihr schwer.
    Es ist nur ein Traum, wiederholte sie wie ein Mantra. Lara versuchte, sich zu konzentrieren.
    Wie hatte die Kleine gesagt, dass sie hieß? Lara hatte sie nicht richtig verstanden. Sie bückte sich und streckte die Hand nach dem Spielgerät aus. Das Mädchen legte vertrauensvoll sein Jo-Jo hinein. Lara sah darauf hinab. Das würde nicht schwierig sein. Geschickt entwirrte sie die Schnur und reichte das Jo-Jo zurück.
    »Danke«, jauchzte das Mädchen und ihre Augen leuchteten. »Kannst du mir noch einen Wunsch erfüllen?«, fragte es mit einem strahlenden Lächeln.
    Lara lächelte ebenfalls.
    Die Kleine streckte den Arm aus. Ihre zarte Hand deutete auf die Horden der Monster. Unschuldig sah sie aus, als sie sagte: »Kannst du die totmachen? Alle? Sie sind immer so laut und stören mich beim Spielen.«
    Vor Laras Augen verschwand die Welt. Schwindel erfasste sie. Sie fiel nach hinten. Auf den Rücken. Über ihr war nur noch der graue Himmel, über den dunklen Wolken zogen.
    Es ist nur ein Traum, sagte sie sich erneut.
    Das Gesicht des Mädchens schob sich in ihr Sehfeld. Treuherzig blickte es auf Lara hinab.
    »Tust du das für mich?«
    Die Stimme war nicht mehr piepsig. Nicht mehr die einer Vierjährigen. Heiser und rau war sie. Eindringlich. Voller Macht.
    Lara öffnete die trockenen Lippen, aber nur ein heiseres Krächzen drang hervor.
    Dann verschwand die fremde Welt.

9.
    »Sie kommt wieder zu sich.«
    Lara schlug verwirrt die Augen auf und blinzelte gegen das helle Licht an. Wo war sie? Ihr Blick fiel auf weiße gekachelte Wände, Metallregale mit Verbandsmaterial darin, vor ihr stand ein Rollwagen mit verschiedenen Instrumenten. Es roch nach Putzmittel und

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