Die wilde Jagd - Roman
der Zelte und begab sich zum Fluss.
Allmählich verloren sich das Fauchen des Feuers und das lärmende Gelächter der Kriegerschar in den wispernden Nachtlauten der Ebene. Der Wandermond stand noch fast voll am Himmel. Er schien silbern auf das hohe Gras, sodass sie beinahe so deutlich wie am Tage sehen konnte. Aus Gewohnheit ging sie einige Schritte flussabwärts, wo sie die Kübel ausleerte, ehe sie sich wieder zu den seichten Stellen weiter oben am Ufer begab und sie neu füllte.
Das Wasser war angenehm kühl an ihren wunden Händen. Sie sah sich um, ob jemand bemerkte, dass sie sich gerade vor ihren Pflichten drückte, dann kniete sie nieder und steckte die Arme bis zu den Ellbogen ins Wasser. Wunderbar. Der Sand auf dem Grund war so weich wie feine Wolle. Die Haare fielen ihr ins Gesicht und blendeten alles außer dem schwachen Mondschein aus, der wie Glühwürmchen im gekräuselten Wasser gefangen war.
Sie verharrte so lange in dieser Haltung, wie ihre schmerzenden Schultern es ertrugen, dann setzte sie sich ans Ufer und trocknete ihre Hände am Rocksaum. Niemand würde sie vermissen, wenn sie noch einen Moment blieb. Nach dem Rauch und Gestank des Lagers war die Brise auf der Ebene sehr erfrischend. Alles, was sie in den vergangenen zwei Tagen gerochen hatte, waren Elchfett und Asche gewesen.
Teia schaute hinüber zum Feuer. Armer Drw. Jetzt war er in die Halle der Helden gegangen und speiste mit seinen Ahnen. Für ihn hatte es keinen glorreichen Tod auf dem Schlachtfeld gegeben, aber sein Schatten hatte trotzdem viel zu erzählen. Begleitet vom Seufzen einer Frau, war er zu Maegern getragen worden.
Ich bin müde, Teia. Ich glaube, ich werde lange schlafen .
Tränen stachen ihr in den Augen, und sie blinzelte sie weg. Lebewohl, mein Häuptling .
Trotz des Windes hörte sie das Blöken der Dudelsäcke und das Dröhnen einer Trommel. Eine Reihe von Gestalten hob sich wie Zacken gegen den Feuerschein ab; Männer und Frauen hatten sich untergehakt und taumelten trunken im Tanz. Heute Nacht würden Versprechungen gemacht und zweifellos Mädchenherzen gebrochen werden, lange bevor es zu einer Ehe kam.
Eine Ehe. Dieser Gedanke hinterließ einen Schmerz in ihrer Magengrube, der heftiger war als ihre Trauer um Drw. Ihre Mutter Ana hatte schon wieder mit ihrer Tante über den Heiratsmarkt gesprochen und dabei nicht bemerkt, dass Teia sie hören konnte, während sie sich ausrechneten, welchen Preis man für Teia auf der Versammlung erzielen könnte. Danach hatte sich Teia in den Schlaf geweint. Am nächsten Morgen hatte sie ihre Zukunft im Wasser vorhersagen wollen und nur Wolken gesehen.
Teia schaute sich um und biss sich auf die Lippe. Sie war allein mit dem rauschenden Gras und dem Gluckern des Flusses. Niemand war so nahe bei ihr, dass er sie hätte sehen können, selbst wenn sie vielleicht bereits vermisst wurde. Da die Versammlung immer näher rückte – sie würde in zwei Wochen stattfinden –, musste sie wissen, was sie dort erwartete.
Sie zog einen der Kübel zu sich heran. Als sich das Wasser darin beruhigt hatte und die silberne Scheibe des Wandermondes ruhig in der Mitte schwamm, legte sie beide Hände auf den Rand und schloss die Augen. Dann suchte sie die Musik in ihrem Innern.
Zuerst reagierte sie nur schwach, ehe sie plötzlich Teias Hirn geradezu flutete. Rasch zähmte sie die Musik, verengte deren Fluss, bis es nur noch ein Tröpfeln war, und schließlich ließ Teia sie aus sich heraus. Bläuliche Funken zuckten über ihre Finger und huschten über den Wasserspiegel. Der Widerschein des Mondes schimmerte. Er nahm ab, war nicht so mächtig wie der Vollmond, doch noch immer gut zum Wahrsagen. Weißes Licht erfüllte den Kreis, der vom Kübelrand beschrieben wurde, dann wurde das Wasser ganz still und warf ein vollkommenes Abbild von Teias Gesicht zurück.
Zeig es mir .
Das Bild erzitterte und wurde wieder klar. Es war noch immer ihr Gesicht, doch jetzt war es von einem grauen Wolkenhimmel umgeben. Ihre Wangen waren blutverschmiert, ihr Haar ein Gewirr nasser dunkler Locken, ihre Augen so matt wie die eines toten Vogels.
Diese Vision erschreckte sie immer wieder, egal wie oft Teia sie sah, denn sie deutete auf eine Zukunft hin, die sich keine Frau wünschen konnte. Sie packte den Rand des Kübels, holte tief Luft und machte sich für das nächste Bild bereit, falls es wieder die schwarze Kriegerin sein sollte.
Zeig es mir .
Das Bild wurde zu dem eines Jungen. Er hatte dunkle Haare, blaue
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