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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Abschied.
    Martin stand vor dem Grab, groß,  unbeweglich; er sah den Sarg, der jetzt im Schatten stand, sah die abwartenden Mienen der Träger, das ergriffene Gesicht des Priesters, der stumme Worte sprach.
    Martin nickte.
    Die Friedhofswärter ließen den Schrein hinab, vorsichtig – den flockigen Wirbel einer daunenweichen Erinnerung, ungreifbar wie ein Traum, den Traum seines Lebens, früh verloren, wieder gefunden, endgültig entglitten. »Amen«, sagte der Priester.
    Er drückte dem Sohn die Schaufel in die Hand.
    Martin warf die ersten Erdkrumen hinab, starr, mechanisch, sah nach unten, bis Krawuttke an ihn herantrat, ihn vorsichtig anstieß und »Mein herzliches Beileid!« sagte.
    Als erste Regung packte Martin Zorn. Er fuhr herum, schroff, drohend. Dann sah er in das tränenfeuchte Gesicht Krawuttkes und gab ihm die Hand.
    »Übrigens wird zur Stunde seine Mutter beigesetzt, Herr Landgerichtsdirektor«, sagte Dr. Schiele wie beiläufig zu dem Vorsitzenden der Zweiten Strafkammer, in deren Hände inzwischen der Fall Ritt gekommen war. »Als mein Mandant für mich erreichbar war, blieb er noch immer unzugänglich, aber jetzt hoffe ich, endlich an ihn heranzukommen …«
    »Ich verschließe mich Ihren Gründen nicht«, antwortete Erdmann, ein untersetzter Herr mit einem Künstlerkopf, dem man nachrühmte, daß seine Urteile selten aufgehoben würden. »Aber ich habe erst jetzt die Akte erhalten und muß mich noch einarbeiten. Dienstag morgen, neun Uhr – einverstanden?«
    »Besten Dank«, sagte Schiele erleichtert, da der Termin früher angesetzt war, als er gehofft hatte. »Darf ich Sie noch bitten, Amtmann Wirth vorzuladen?«
    »Wirth?« fragte der Landgerichtsdirektor. »Der ist doch tot. Wußten Sie das nicht?«
    »Die Akten enthielten keinen Hinweis darüber …«, entgegnete der Besucher.
    »… und der Staatsanwalt war auch nicht sehr gesprächig«, meinte der Vorsitzende; Schiele, der kühle Rechner, witterte erstmals das Dynamit, das diesen Fall sprengen konnte.
    »Tot?« fragte er nachdenklich.
    »Durch Selbstmord.«
    »Dann möchte ich den Beamten als Zeugen haben, der die Vernehmung führte.«
    »Ich will es versuchen«, versprach Erdmann. »Außerdem werde ich dafür sorgen, daß Sie vor der Verhandlung mit Herrn Ritt noch einmal ungestört sprechen können. Im übrigen wünsche ich Ihnen Erfolg«, schloß der Richter das Gespräch, »leicht werden Sie es nicht haben.«
    Heinrich Schlemmer hatte sich dezent jegliche Kundgebung des Triumphes verbeten, deshalb sprachen die Gäste des Donnerstagszirkels heute mit gedämpften Worten, doch in gehobener Stimmung über den Sturz des Martin Ritt, der in diesem Salon so häufig besprochen, postuliert und prophezeit worden war.
    Die Ritt-Aktien waren innerhalb weniger Tage auf die Hälfte ihres Wertes zusammengeschrumpft und sanken weiter; vor allem unter den Kleinaktionären brach eine Panik aus. Wer zuerst verkaufte, rettete noch am meisten, und so wurden die Papiere mit riesigen Verlusten auf den Markt geworfen. Vor zwei Tagen hatte Drumbach als Sprecher des Aufsichtsrats verlauten lassen, daß der ABC-Konzern zu seinem Bedauern alle Verhandlungen mit der suspekten Firma Ritt abbrechen müsse, damit das Signal für andere Firmen gebend, nun endlich die Geschäftsverbindung mit dem zwielichtigen Außenseiter aufzugeben.
    Bettina bewegte sich gewandt und elegant zwischen den Gästen, eine aparte Frau, eine vollendete Dame, Gastgeberin von Rang und Laune, ohne sich das Unbehagen darüber anmerken zu lassen, daß dieser Abend zwangsläufig zu einer inoffiziellen Siegesfeier wurde. Wenn auch zwischen ihr und ihrem geschiedenen Mann ein Abgrund klaffte und sie Martins Mutter nicht einmal gekannt hatte, so wäre ihr Pietät doch lieber gewesen. Aber es erging keine Einladung zu ihrem Donnerstagszirkel, und so konnte sie auch keine Absagen erteilen.
    Bettina hatte auf ihre alte Tugend zurückgegriffen, ihre Schwäche zu überspielen, das Unangenehme zu verbrämen; deshalb gab es an diesem Abend erlesene Kanapees statt liebloser Sandwiches, dazu Sekt. Sie trug ein grünes Dior-Kleid, raffiniert geschnitten, doch sehr damenhaft, und wie immer sahen ihre braunen Augen alles, galt ihr Lächeln jedem, wenn auch sorgfältig abgestuft.
    Viele kamen, eher mehr als sonst: Wirtschaftsbosse, Politiker, Bankiers, Juristen, ergänzt durch einige Künstler. Bettina schwebte über Interessen und Parteien, nahm den Arm des einen, ließ sich zur nächsten Gruppe bringen,

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