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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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verheißend, sich versagend, aufreizend.
    Sie sah Drumbach unter den Verspäteten und begrüßte ihn lächelnd. »Ich dachte, Sie führen nach Marrakesch?« sagte sie.
    »Leider ist mein Kutscher erkrankt«, erwiderte er, »verzeihen Sie, Gnädigste«, verbesserte sich der Präsident, »ich meinte, mein Fahrer.«
    Die Umstehenden verstanden die Anspielung nicht, lachten aber höflich.
    »Mein lieber Präsident!« Schlemmer schob sich auf Drumbach zu, ein alter Mann mit schlaffem Mund, und geleitete ihn in eine Ecke.
    »Was machen wir denn jetzt mit dem Ausschuss?« fragte Drumbach, da die Rotation nun nicht mehr stillgelegt werden mußte.
    »Wir beschäftigen ihn mit anderen Problemen«, antwortete Schlemmer.
    »Feine Arbeit – der Fall Ritt«, bemerkte der Präsident.
    »Ob Sie es glauben oder nicht«, sagte der Politiker stirnrunzelnd, »ich habe damit nichts zu tun.«
    »Ich habe nichts anderes angenommen«, entgegnete Drumbach mit wissendem Lächeln.
    Petra betrat unbemerkt das Haus, schwarz gekleidet, trotzig, schmächtig, aufgewühlt von Trauer und Zorn. Erst eine Stunde nach der Beerdigung war sie an das Grab ihrer Großmutter gegangen. Auf Evas Rat hatte sie an der Trauerfeier nicht teilgenommen; sie sollte Martin, von Polizisten bewacht, von Gaffern umstellt, nicht sehen.
    Petra raffte hastig ein paar Sachen zusammen, entschlossen, dieses Haus für immer zu verlassen. Von unten drang der Lärm herauf, sie hörte das Klingen der Gläser, das Lachen der Gäste und nickte grimmig. Sie ging nach unten, stellte ihren Koffer in der Garderobe ab und betrat den Salon.
    Sie stand in der Tür; ihre Augen suchten Bettina, die von Drumbach verdeckt wurde. Sie trat in den bunten Raum, ein düsterer schwarzer Fleck, und die ersten Gäste, die sie sahen, wichen erschrocken vor ihr zurück, eine Gasse bildend, durch die die Fünfzehnjährige schritt.
    Bettina bemerkte die Bewegung im Raum, erschrak. »Kind!« rief sie und eilte der Tochter entgegen. »Ich freue mich ja, daß du da bist, aber doch nicht an einem solchen Tag, hier – noch dazu in Trauerkleidung …«
    »Schließlich wurde heute meine Großmutter beerdigt«, erwiderte Petra laut.
    »Bitte, Liebes«, die Mutter betrachtete sie mit lächelnden Lippen und mit harten Augen, »du bist aufgewühlt, sicher – aber …«
    Einige Umstehende schoben sich unauffällig beiseite, andere traten heran. Bettina hakte sich bei Petra ein und versuchte, sie aus dem Salon zu ziehen; Arm in Arm, die attraktive Mutter mit der hübschen Tochter, ein schönes Bild.
    »Lass mich los!« fuhr Petra sie an und sah, wie ihre Mutter die Fassung verlor. »Rühr mich nie mehr an!« rief sie, die Stimme steigernd. »Ich will nichts mehr mit euch zu tun haben!« schrie sie. »Feiert euren Sieg!«
    Bettina schwankte, als habe sie zuviel getrunken. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie halblaut, »das Kind ist außer sich – und …« Ihre Blicke bettelten um Heinrichs Hilfe, »– vielleicht kann ihr Vater …«
    »Mein Vater heißt Ritt!« rief Petra, aufheulend vor Zorn. Sie sah den Stiefvater herankommen, riß ein Glas vom Tablett des Kellners. »Nicht wahr …« Sie kippte ihm den Sekt in das verstörte, lederne Gesicht. »Herr Dr. Dr. Schlemmer!«
    Aufrecht verließ Petra die Stätte des Skandals, eine gebrochene Mutter, einen begossenen Politiker, einen lächelnden Präsidenten und gelähmte Gäste hinter sich lassend, ging schlank und schlüssig aus dem Salon, mit dem Gesicht ihres Vaters und seinen langen selbstherrlichen Schritten.

X
    Am Dienstagvormittag, kurz vor der Verhandlung, die formal nur einen Haftbefehl zu überprüfen hatte, tatsächlich aber über den Untergang eines einstürzenden Konzerns entscheiden würde, schauderte Dr. Schiele vor einem Entschluß, wie er nur einem Zyniker einfallen konnte, der die Jurisprudenz beherrschte, ohne an die Gerechtigkeit zu glauben.
    Der Vorsitzende hatte dem Verteidiger Ritts erlaubt, unmittelbar vor der Sitzung seinen Mandanten unter vier Augen zu sprechen, und da vom Ermittlungsrichter Kleinlein tags zuvor dem Untersuchungshäftling Guido Brenner – gegen den heftigen Protest des Staatsanwalts – das gleiche Entgegenkommen gewährt worden war, griff Dr. Schiele zum ersten Mal nach beiden Enden dieses verschlungenen Falls; er konnte die Fäden nicht entwirren und entschloß sich, sie zu zerreißen.
    Er war allein im leeren Saal; seine Schritte hallten hohl, der Zeiger der elektrischen Uhr rückte weiter. Als

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