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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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gepflegt wirkten, ein lustiges Englisch sprachen und ihren amerikanischen Dienstherren die saloppe Ungezwungenheit abgesehen hatten.
    Nicht wenige spielten Amerikanerin und wollten es durch Heirat werden.
    Sicher geben sich einige als Pompadours und nutzen ihr befristetes Regime, dachte Martin, aber alle haben Brüder, Väter, Freunde, die etwas brauchen, und wenn sie schon in den Vorzimmern der Macht sitzen, warum sollten sie sie nicht nutzen? Hier kommen wohl auf 200 Amerikaner 2 000 Deutsche, vorwiegend weiblichen Geschlechts, und so schaffen diese Mädchen der Militärregierung, Dolmetscherinnen, Telefonistinnen und Sekretärinnen, zwischen den Siegern, die zuviel, und den Besiegten, die zuwenig haben, einen natürlichen Ausgleich und kurbeln damit die Volkswirtschaft an …
    Er hatte den zweiten Stock erreicht und sah sich nach dem Anmeldeschalter um.
    »Was möchten Sie?« fragte eine klare Stimme.
    Er betrachtete die Zwanzigjährige mit der klugen Stirn, dem knappen Mund und den hellen Augen.
    »Zu Captain Lessing«, antwortete er.
    »Oh«, sagte Susanne, »wenn Sie Geduld haben. Ich will es versuchen. Warten Sie bitte.« Auch sie deutete auf eine der Bänke.
    Sie standen überall längs der Gänge, und auf ihnen saßen die Wartenden wie Hühner auf der Stange während eines Unwetters.
    »Grüß Gott«, sagte ein kleiner bescheidener Mann, der aussah, als warte er schon drei Tage. Er trug einen dicken Anzug mit Knickerbocker.
    Martin setzte sich neben ihn. Er hoffte, daß er durch die Tür gehen und Felix einfach auf die Schulter klopfen könnte. Aber er hatte auch nichts gegen eine Verzögerung.
    Er hörte Stimmengewirr von drinnen, er sah deutsche Angestellte hin und her hasten, sah Besucher kommen und gehen. Manche wirkten, wenn sie mit den amerikanischen Offizieren sprachen, als bückten sie sich beständig, um mit dem Kopf nicht gegen eine unsichtbare Decke zu stoßen.
    »Flachbauer, mein Name«, sagte der Mann in den Knickerbockern, »wollen Sie auch eine Lizenz?«
    »Für was?«
    »Na, heutzutage braucht man doch für alles eine Lizenz, und die Amerikaner sind Bürokraten, kann ich Ihnen sagen, schlimmer als unsere.«
    »So long, Felix«, rief ein Bariton von drinnen.
    Flachbauer brach das Gespräch ab und sah gespannt zur Tür, aus der vier Offiziere kamen. Der Mann auf der Bank stand auf und grüßte einen von ihnen; doch die Amerikaner gingen an ihm vorbei, als hätten sie ihn nicht gesehen.
    Felix Lessing saß in seinem Büro mit angezogenen Beinen. Auf seinem Schreibtisch stand die Whiskyflasche. Susanne sah, daß sich seine Pupillen verfärbten, violett wurden wie Eis im Föhn, und sie wußte, daß sein Gesicht in Stunden wieder aussehen würde wie ein vertrocknetes Flußbett.
    »Kann Flachbauer jetzt kommen?« fragte sie.
    »Kann warten«, erwiderte der Captain und lehnte sich zurück.
    Die Tür zum Vorzimmer stand offen. Felix sah Susanne, verfolgte ihre sicheren, geschickten Bewegungen. Er kannte ihr kurzes Leben auch aus den Akten. Der Fragebogen war in dieser Zeit Beichte wie Visitenkarte. Er wußte, daß Susanne aus einer katholischen Familie kam, daß ihr Bruder gefallen und ihr Vater politisch farblos und unbelastet war: kein Nationalsozialist und kein Antifaschist, ein braver Bürger.
    Sie hatte nie mit ihm über ihre Familie gesprochen, nie etwas von ihm gewollt, und selbst wenn sie ihm zürnte, versuchte sie es zu verbergen. Er begriff, daß sie ihn richtig nahm, daß er ihre Passion war, während er Susanne doch nur als Episode ansehen wollte.
    Felix trank. Er sah Susannes schweigenden Vorwurf und hielt ihr die Flasche vor wie ein rotes Tuch.
    »Willst du etwas?«
    »Nein.«
    »So du etwas wolltest«, sagte er mit harter Stimme, »wäre es besser, du würdest es sagen.«
    Sie überging seine Worte. Ihre Lippen schlossen sich wie eine wattierte Tür.
    »Okay«, sagte Felix, »dann ruf diesen damned guy herein.«
    Flachbauer trat mit einer Verbeugung ein.
    »Mr. Lessing«, begann er, »leider kann ich nicht englisch, und so muß ich Sie bitten …«
    »Zur Sache, bitte!« unterbrach ihn Felix. Ungeduldig setzte er hinzu: »Sie haben Ihre Unterlagen doch schriftlich eingereicht?«
    »Ja – und außerdem …«
    »Gleich«, sagte der Captain.
    Er ließ sich von Susanne den Akt Flachbauer bringen, schlug den Leitzordner auf, ohne den Mann zu betrachten, der seine Schuhspitzen besah. Sie glänzten vor Sauberkeit. Alles war reinlich an diesem Besucher, selbst sein Fragebogen. Felix

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