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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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erklären«, erwiderte Felix. »Ich weiß alles. Seit Jahren. Ich habe es schon Wochen danach erfahren, in Amerika. Und ich kam mit dem Vorsatz – du verstehst mich doch? –, ihn, deinen Vater, für die Tat an meinem Vater, dafür also …«
    Felix blickte auf den Boden.
    Martin merkte, daß er, statt den alten Ritt anzuklagen, sich selbst verteidigte. »Er hat es nicht anders verdient«, sagte er mit fester Stimme, »und ich verstehe nicht, wie du …«
    »Es mag sein, daß er sein Ende verdient hat.« Felix stand auf, kehrte dem Freund den Rücken, holte den Behälter mit Eis, trug ihn zurück, schüttelte die Würfel; es hörte sich an, als schlügen im plötzlichen Frost Zähne aufeinander. »Hör mir gut zu, Martin, ich wollte dieses Gespräch verschieben, aber es hat keinen Zweck, ihm auszuweichen; es wäre nur feige und dumm, und du mußt erfahren – gerade du …«
    Felix stellte den Eisbehälter ab. Er sah Martin an. Seine Pupillen glänzten.
    »Ich habe deinen Vater gesucht, gejagt und gestellt. Ich – ich habe das Urteil von Dachau erwirkt.«
    »Nun, und?« fragte Martin.
    »Er war nicht schuldig.«
    »Was sagst du da?«
    »Nicht in dieser Sache«, antwortete Felix.
    »In welcher Sache?«
    »Wegen der man ihn hängte.«
    »Macht das einen Unterschied?« fragte Martin schroff. »Ich bin ein Realist – mich interessiert, ob ein Mensch schuldig ist oder nicht. Der Text des Urteils ist mir gleichgültig. Es scheint mir unwichtig, ob mein Vater«, er biß auf das Wort wie auf einen Stein, »gehängt wurde, weil er Polen und Russen in das KZ einweisen ließ – oder wegen des Mordes an deinem Vater –, einer mußte ihn anklagen und einer das Urteil sprechen.«
    »Du willst mich nicht verstehen«, sagte Felix, »ich habe …«
    »Ich bin mit dem Vorsatz aus dem Krieg zurückgekommen«, unterbrach ihn Martin, »Männern seines Schlages heimzuzahlen, was sie an mir, an dir, an deinem Vater, an unserer Generation verbrochen haben –. Ich hätte ihn selbst – wie hast du doch gesagt, Felix? – gesucht, gejagt und gestellt.«
    »Du weißt noch nicht alles«, sagte Felix. Er sprach langsam und bedächtig, als reihe er die Buchstaben wie Perlen auf eine Schnur, falsche Perlen, Glasperlen, Plunder. »Du weißt nicht, wie ich das Urteil erwirkt habe.«
    »Und?« fragte Martin und spürte Unbehagen, weil ihn Felix so unverwandt und aggressiv musterte, daß sich die Blicke des Freundes wie zwei spitze Nadeln in sein Gesicht zu bohren schienen.
    »Ich habe Zeugen erpreßt und bestochen. Ich habe sie zum Meineid gedrängt – und …«
    Die Schnur riß. Die Perlen fielen zu Boden. Sie rollten unter die Kommoden und Tische.
    »Also los«, Martins Stimme stieß an die Zähne, »erzähl deinen Roman. Mach es rasch – und laß endlich den dummen Schnaps stehen!«
    Felix sprach langsam, eindringlich. Zwischendurch betrachtete er den Freund, wie damals an der Universität, als er ihm immer und immer wieder vorschlug, den Verkehr mit ihm aufzugeben, und dabei in Martins Gesicht nach verhohlener Zustimmung suchte. Die verblaßte Erinnerung stand wieder vor ihm, nahm Farbe an, Kontur, Jahre waren weggewischt, die Mauer übersprungen, auch wenn Felix das noch nicht wußte und erst nach und nach begriff, daß sein Freund ein Freund geblieben war und bleiben würde.
    Während Felix sprach, brach draußen das Gewitter los, tobte der Wind gegen die Hauswand, prasselten dicke Tropfen an die Fensterscheiben, hinter denen sich die drückende Schwüle verschanzt hatte.
    Immer wieder sah Felix zu Martin, verstand nicht seinen Gleichmut: Sosehr ihn seine Haltung beruhigte, so wenig konnte er sie begreifen. Sie schien ihm so unnatürlich, daß sie ihn fast störte.
    »So habe ich also«, schloß Felix, »planmäßig und vorsätzlich einen in diesem Fall Unschuldigen …«
    »Es reicht!« schnitt ihm Martin das Wort ab und stand auf. Er sah, wie der Freund wieder nach der Flasche griff, nahm sie ihm weg, knallte sie auf den Tisch.
    »Jetzt bin ich an der Reihe. Hör mir gut zu, denn ich möchte nie mehr darüber sprechen: Der Mann, um den es geht, ist mir fremd, obwohl ich sein Sohn bin.«
    Martin sprach ruhig, gezielt, abgehackt: »Schon als er mir die Mutter nahm, mochte ich ihn nicht; als er deinem Vater die Fabrik abpreßte, verachtete ich ihn. Ich habe ihn gehaßt, als mir im Krieg Dreck und Kugeln um den Kopf flogen, als ich den ersten Toten eingrub und die ersten zerfetzten Därme sah.« Grimmig fuhr er fort:

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