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Die Wohltaeter

Titel: Die Wohltaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuri Kino Jenny Nordberg
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sie eine französische Tasche aus tiefrotem Leder.
    Sie war zu einer Kronprinzessin herangezogen worden und hatte viele der Länder besucht, in denen sie tätig waren. Inzwischen konnte sie selbstständig die Finanzierung für Hilfsprojekte organisieren und ihre Durchführung realisieren. Beispielsweise. Sie konnte auch eigenhändig einen Graben ausheben, Kleidung an diejenigen verteilen, die geduldig in den langen Schlangen warteten, und Vorträge vor den Freiwilligen halten. Vor allem aber hatte sie gelernt, die Freiwilligen auszusieben, die den Ansprüchen nicht genügten. Man konnte ihre Ausbildung mehr als »bodennah« nennen. Sie hatte auf gestampftem Lehmboden mit ausgetrockneten, freiliegenden Abflussrinnen gearbeitet, wo ihr der hartnäckige Staub in den Augen brannte und die Haut so sehr reizte, dass sie sie beinahe zerkratzt hätte. Darüber hinaus konnte sie Verhandlungen über Blechlieferungen in Indien und Druckkosten in den Niederlanden führen. Sie kannte die Organisation wie kein anderer, es war ihre Welt. Niemand sollte ihr jemals vorwerfen können, sie sei mit Daunendecke und Silberlöffel geboren worden. Das war zwar nicht ganz unzutreffend, aber sie hatte ihre Feldausbildungabsolviert und sie nun abgeschlossen, falls man eine solche Ausbildung je als abgeschlossen bezeichnen konnte, um eine Rolle zu übernehmen, für die sie ihr ganzes Leben lang geübt hatte: diejenigen zu führen, die Hilfe leisten wollten.
    Sie wusste, dass sie sich in einem nächsten Schritt mehr in den geschäftlichen Teil des Betriebs vertiefen würde. Fast alle großen Landesoberhäupter, die sie bisher getroffen hatte, waren vor allem an den Investitionen interessiert, die mit der Wohltätigkeit einhergingen. Wenn man sich auf ein Hilfsprojekt geeinigt hatte, öffneten die meisten ihre Ländergrenzen für verschiedene neue Tätigkeitsfelder, mittels derer die Organisation expandieren wollte. Die USA stellten zwar immer noch ein Problem dar, aber auch in diese Richtung entwickelte Jesse Pläne. Offenbar gab es ein großes Potenzial unter den Collegestudenten im ganzen Land, die gern Erfahrungen als Freiwillige sammeln wollten. Außerdem hatte sich ihre Organisation in den letzten Jahren mehr und mehr der UN angenähert, wobei Vertrauen und zahlreiche Kontakte aufgebaut worden waren. Es gab einige höhergestellte Mitarbeiter, die nichts dagegen einzuwenden hatten, mit ihnen zu kooperieren, solange ein Teil der Projektgelder auf gesonderten Bankkonten landete.
     
    »Alle sind gekommen. Er hat ein Zeichen gegeben.« Die Ausbilder näherten sich ihr so leise, dass Miriam zusammenfuhr. Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, sagte sie sich. Absolut nicht. Sie hatte sie alle getroffen, draußen in der Welt, wo sie Begleiter bei sich gehabt hatte, die dafür sorgten, dass sie gut aufgenommen wurde und das, was sie lernen sollte, gezeigt bekam. Die Ausbilder waren während der Jahre ersetzt worden – doch sie hatten ihr das meiste beigebracht. Fremde Sprachen und Tischmanieren, Wirtschaftsgeschichte und Tänze. Alles im Hinblick auf ihre spätere Rolle, mit der sich alle einverstanden zeigten.
    Sie hatte nie eine gewöhnliche Schule besucht; dafür war keine Zeit gewesen. Dort werde so viel Belangloses gelehrt, hatte Jesse erklärt. Sie musste sich auf ihren Auftrag konzentrieren, weshalb nicht viel Zeit für Pädagogik oder gleichaltrige Spielkameraden übrig blieb. Aber bei all den Ausbildern, die ständig um sie waren,konnte sie sich nicht daran erinnern, wann sie sich zuletzt einsam gefühlt hatte. Sie hatten ihr beigebracht, wie sie anderen Leuten begegnen sollte und in welchem Verhältnis sie zu ihnen stand. Immer wieder hatte man ihr gegenüber wiederholt, wie wichtig ihre Aufgabe war und dass sie sich nie mit anderen vergleichen oder sich von Außenstehenden beeinflussen lassen sollte. All das durfte ihr keine Energie für den Plan entziehen, den Jesse für sie entworfen hatte. Sie wusste, dass es Menschen gab, die ihre Bewegung sabotieren wollten. Die nicht begriffen, wie wichtig ihre Aufgabe war. Die Lügen verbreiteten.
    Sie war stolz darauf, seine Auserwählte zu sein, und widersprach ihm nie. Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie sich einige Male widersetzt, aber dann hatte Jesse mit ihr gesprochen und ihr angeboten, sie allein in die Welt hinausziehen und etwas auf die Beine stellen zu lassen. In solchen Momenten hatte sie jedes Mal eingesehen, dass es sinnlos war. Denn was konnte die Welt ihr schon geben, zu

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